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Daniel umarmt den "Macho Negro" - und fordert eine andere Republik

Der Generalsekretär der FSLN, Daniel Ortega Saavedra, eröffnet am 19. Juli den Wahlkampf

In der nicaraguanischen Öffentlichkeit wird die Annäherung von Frente Sandinista de Liberación Na-cional (Sandinistische Front zur Nationalen Befreiung, FSLN) und katholischer Kirche in Nicaragua als der herausragende Bestandteil der Rede des Generalsekretärs der Partei, Daniel Ortega Saavedra, am 19. Juli 2003 aus Anlass des 24. Jahrestages des Sieges der Revolution über die Somoza-Diktatur 1979, gewertet. Dabei werden andere wichtige Passagen der Rede leider vernachlässigt.

 

Übereinstimmung Kirche - FSLN

In seiner Rede auf der Plaza de Fe, dem Platz des Glaubens, in Managua erinnerte Daniel Ortega zunächst daran, dass die FSLN und Kardinal Miguel Obando y Bravo, der im Volksmund gern als "Macho Negro", als schwarzer Macho", bezeichnet wird, in der Somoza-Zeit im Widerstand gegen die Diktatur zusammengearbeitet hatten. Immer wieder besuchte der damalige Erzbischof von Managua während der mehr als sieben Jahre, die Ortega und andere Revolutionäre im Gefängnis verbrachten, die Inhaftierten - sehr zum Ärger Somozas. Er trat auch als Unterhändler auf, als 1974 und 1978 durch militante Aktionen der FSLN inhaftierte Mitglieder der Guerrilla befreit wurden, und begleitete sie nach Cuba.

 

Auf diese Weise, erklärte Daniel, habe Obando y Bravo großen Anteil am Sieg über die Diktatur. Er war während des Befreiungskampfes an der Seite des Volkes und der FSLN und feierte mit dem Volk und der Frente Sandinista am 19. Juli 1979 auf dem Platz der Revolution den Triumph der Revolution. Die während der Regierungszeit der FSLN zwischen 1979 und 1990 aufgetretenen "Widersprüche" zwischen Partei und Kirche, erklärte Daniel, wolle er ganz offen ansprechen, weil er kein Politiker, sondern Revolutionär sei und bleibe. Politiker hätten den schlechten Ruf, zwei Gesichter zu haben: Das, mit dem sie um Stimmen werben, und das, mit dem sie sich selbst skrupellos bereichern. Revolutionäre aber seien Poeten und Träumer. Als solche hätten sie die Fehler, die sie gegenüber der katholischen Kirche begangen haben könnten, aus Liebe zu Nicaragua begangen, aus Sorge um die Verteidigung der nationalen Souveränität des Landes im Contra-Krieg, aus Liebe zu den Armen und den landlosen Campesinos. Trotz dieser Fehler sei die Kommunikation zwischen Kirche und Regierung niemals abgebrochen: Sie hätten sich auch in diesen schwierigen Zeiten regelmäßig getroffen und er selbst habe zweimal den Papst in Rom besucht. Er wolle sich dennoch bei den "Herren Bischöfen" heute ganz offiziell für die möglichen Fehler entschuldigen. Und er erinnerte daran, dass die Plaza de Fe bzw. Plaza Juan Pablo II., wie der Platz auch genannt wird, von der FSLN-Regierung aus Anlass des Papstbesuches angelegt wurde. In einem am Vortag des 19. Juli 2003 zwischen Ortega und Obando y Bravo geführten Tele-fonat hätten sie zudem große Gemeinsamkeiten in der Beurteilung der Lage gefunden, in der sich Nicaragua gegenwärtig befindet.

 

Der Irak-Krieg
Da ist zunächst die gemeinsame Ablehnung des Irak-Krieges der USA und ihrer Verbündeten. Diese Aggression, erklärte Daniel, sei ein Verbrechen am irakischen Volk und die opportunistische Entsendung eines Kontingents nicaraguanischer Soldat(inn)en und Mediziner durch die Regierung Bola?os sei nicht nur vollkommen überflüssig, sondern schade Nicaragua sehr. Der Irak verfüge selbst über sehr gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte, so dass die entsandten nicaraguanischen Mediziner hier nun fehlten, und die nicaraguanische Armee, die ihre Wurzeln schließlich in der Revolution habe, solle auf diese Weise korrumpiert, ja prostituiert werden: Ein willfähriges Anhängsel jener Aggressionsmacht, die den Irak überfallen habe. Und, selbstverständlich, stammten die entsandten Soldat(inn)en aus dem einfachen Volk und nicht etwa aus der Klasse der herrschenden Politiker. Die FSLN, so Daniel, prüfe derzeit juristische Schritte, weil sie die Truppenentsendung in den Irak für verfassungswidrig hält.

 

 

Das Entschuldungsmärchen

Auch in der Einschätzung der sozialen Lage Nicaraguas seien Kirche und FSLN weitgehend einer Meinung. Beide teilen die Sorge um die Armen wegen des Freihandelsvertrags, den die USA Nicaragua aufzwingen wolle. Dieser Vertrag sei ungerecht, denn er werde die Armut unter den Produzenten des Landes noch erhöhen: Wie sollten sie mit einem so mächtigen Land wie den USA konkurrieren können? Daniel bedauerte, dass es den kleinen, mittelamerikanischen Ländern nicht gelungen sei, sich zu einigen, um ihre Interessen und Rechte zu verteidigen.

 

In seiner Rede ging Daniel Ortega dann auf den HIPC-Prozess ein (Highly Indepted Poor Countries, Hochverschuldete, arme Länder). Nicaragua würden durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) seit 1998 immer neue Auflagen erteilt, um in den Genuss eines Schuldenerlasses zu kommen. Diese Hinhaltetaktik, ein Märchen, das immer wieder erzählt wird, sich aber nie erfüllt, lehne die FSLN strikt ab. Im Gegenteil, so Daniel, schuldeten die reichen Länder Nicaragua mehr als umgekehrt. Wenn die USA das Urteil des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag anerkannt hätten, dass die Vereinigten Staaten verpflichtete, die Schäden zu bezahlen, die sie dem Land während des Contra-Krieges zugefügt hatten, hätte Nicaragua genügend Geld, um seine Schulden zu bezahlen, und darüber hinaus Mittel, um die Produktion, die Gesundheitsversorgung und die Bildung zu fördern.

 

Umbau des Staates

Leider habe er aber den Eindruck, dass dies nicht das Interesse der derzeitigen Regierung sei. Das Interesse der Regierung sei es vordringlich, ihre Macht zu konsolidieren. Dies sei ihr das Wichtigste. Dem Volk aber sei der Hunger das Wichtigste, die Armut, die Arbeitslosigkeit, der Verlust ihres Landes für die kleinen Produzenten.

 

Um die wirtschaftlichen Probleme Nicaraguas erfolgreich bekämpfen zu können, sei es notwendig, das präsidiale System abzuschaffen und durch eine partizipative Demokratie zu ersetzen. Denn das präsidiale System führe in Nicaragua, wie in ganz Lateinamerika, dazu, dass der herrschende Präsident, einem König oder Diktator gleich, nicht die Lösung der Probleme des Landes im Auge habe, sondern den Umbau der staatlichen Institutionen, um seine Macht zu zementieren. Die Macht müsse aber vom Volk ausgehen, der Präsident und die Minister müssten dem Parlament verantwortlich sein, das wiederum von so genannten Volksparlamenten kontrolliert werde.


Diese Volksparlamente sollten aus unentgeltlich arbeitenden Repräsentant(inn)en der Arbeiter, der Frauen, der Jugendlichen, der Produzenten, der Transporteure, der Händler und der Gläubigen bestehen und sowohl die Asamblea Nacional, die Nationalversammlung, kontrollieren als auch die Bürgermeisterämter in allen Municipios (Kreisen und Städten). Diese Repräsentant(inn)en sollten allerdings nicht danach streben, ihre Stellung dazu zu nutzen, später bezahlte Abgeordnete des Parlaments zu werden, sondern ausschließlich den Willen haben, dem Volk zu dienen.

 

Eröffnung des Wahlkampfes

In gut einem Jahr stehen in Nicaragua Kommunalwahlen an, 2005 sind die nächsten Präsidentschaftswahlen. Daniel Ortega erinnerte daran, dass es die FSLN gewesen sei, die in Nicaragua durch den Sturz der Diktatur Demokratie und Pluralismus eingeführt habe. Nur durch sie regierten heute nicht Somozas Enkel, nur durch sie seien die liberalen Regierungen seit 1990 möglich geworden. Er forderte von den politischen Gegnern einen fairen Wahlkampf und die Anhänger der FSLN dazu auf, hart zu arbeiten, um ein effizientes Wahlverfahren durchzusetzen, in dem ein Raub von Stimmen nicht möglich sein soll. Er wünsche sich einen zivilen und konstruktiven Wahlkampf. Die FSLN sei einem Kampf niemals ausgewichen, aber sie habe auch gelernt, ihre Türen allen Nicaraguaner(inne)n zu öffnen, um gemeinsam die extreme Armut zu bekämpfen.

 

Sein Traum sei es, dass sich alle politischen Kräfte des Landes zu einem Konsens durchrängen, um die wirtschaftlichen Probleme zu lösen und die Bildungschancen auch für Arme zu erhöhen. Es gebe Ideologen, die behaupteten, dass es sogar unter Somoza besser gewesen sei, dass es damals große Exporte und hohe Deviseneinkünfte gegeben habe. Warum, so fragte Daniel, haben die liberalen und konservativen Regierungen in der Geschichte Nicaraguas diese Devisen nicht zum Wohle des Volkes eingesetzt? Warum haben sie dem Volk nicht wenigstens Lesen und Schreiben beigebracht, wie es die FSLN tat? Die heutige Regierung behaupte, alles laufe gut im Lande. Man müsse aber einfach nur durch Nicaragua reisen, allerdings nicht in Herrenreitermanier und den Blick stur geradeaus gerichtet, sondern mit den Augen nach allen Seiten, um das allgegenwärtige Elend zu sehen. Wem angesichts des Elends der Kinder das Herz nicht breche, der verdiene es nicht, Nicaraguaner zu sein. Die Tragik der nicaraguanischen Geschichte sei es, dass das Land, wie zu allen Zeiten außerhalb der Revolutionsjahre, seit 1990 wieder von den Reichen, den Ausbeutern regiert werde. Sie verweigerten den Armen Bildung, Gesundheit und Kultur, während die FSLN darum gekämpft habe und weiter darum kämpfen werde, der Jugend Nicaraguas alle Möglichkeiten zu eröffnen. Die einzige wahrhaftige Volksregierung, die Nicaragua je gehabt habe, sei die der FSLN gewesen, weil sie selbst aus dem Volk stamme. Ortega bekräftigte aus Anlass des bevorstehenden 50. Jahrestages des Sturms auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1953 die "unverhandelbare" Freundschaft mit der cubanischen Revolution und ihrem Führer Fidel Castro.


Er griff die Regierung Bola?os wegen des Einreiseverbots für Enrique Gorriarán Merlo scharf an. Gorriarán Merlo, ein ehemaliger argentinischer Guerrillero, der von der Frente Sandinista zur Teilnahme an der Feier des 19. Juli eingeladen worden war, wird von Bola?os des Terrorismus? beschuldigt, obwohl er von einem argentinischen Gericht freigesprochen wurde. Da-niel bezeichnete das Einreiseverbot als somozistisch und inhuman, da Enrique Gorriarán Mer-lo zudem daran gehindert würde, seine im nicaraguanischen Exil lebende Tochter und seine Enkel zu besuchen.

 

Mit Optimismus in die Zukunft

Zum Abschluss seiner Rede versuchte Daniel Ortega, eine positive Perspektive zu eröffnen: "Was sagen wir Nicaragua? Was sagen wir der Welt? Was sagen wir der Jugend, den Frauen, den Campesinos, den Jungen und Mädchen Nicaraguas? Wir sagen ihnen, dass sich der 19. Juli in das Herz des Volkes gegraben hat. Es stimmt, es gibt Leid in unserem Land in dieser Zeit, aber trotz dieses Schmerzes und dieses Leids gibt es Freude im Glanz der Augen unserer Kinder, gibt es Hoffnung und Lachen in der nicaraguanischen Jugend, gibt es Kampfkraft, Energie, die Bereitschaft, voranzugehen, voranzugehen und nicht aufzuhören voranzugehen für das Wohlergehen des Landes, für das Wohlergehen unserer Kinder. Und deshalb sagen wir Sandinisten: No hay camino... se hace camino al andar. Da ist kein Weg... Der Weg ergibt sich beim Gehen."

 

Zur Revolutionsfeier auf der Plaza de Fe hatte die FSLN auch Kardinal Miguel Obando y Bravo eingeladen, der allerdings "aus Termingründen" absagte. Der Umstand, dass er den Vikar der Erzdiözese Managua, Monse?or Eddy Montenegro, als Stellvertreter schickte, erregte in der nicaraguanischen Öffentlichkeit großes Aufsehen, war es doch das erste Mal seit 1979, dass ein ranghoher Vertreter der Amtskirche wieder an dieser Feier teilnahm.


Eddy Montenegro erwiderte seinerseits sogar die "Umarmung" der Kirche durch die FSLN, indem er der Partei Unterstützung zusagte, sollte sie die Präsidentschaftswahlen gewinnen. "Ohne Zweifel", erklärte er angesichts der Menge auf dem Platz, "dies ist das Volk und hier ist die Demonstration. Wenn die Nicaraguaner in ihrer Mehrheit die Frente Sandinista wählen und bevorzugen, werden wir immer zusammenarbeiten, damit Nicaragua vorankommt." Mit seiner Rede hat Daniel Ortega die vor Jahren eingeleitete "Reconciliación", die Wiederversöhnung der widerstrebenden politischen Akteure Nicaraguas, fortgesetzt und durch die Aussöhnung mit der Amtskirche zu einer Ausweitung der "Convergencia Nacional", der "Nationalen Übereinstimmung", aufgerufen. Gleichzeitig hat er die Frente Sandinista als eindeutige und einzige Alternative zu den liberalen und konservativen Parteien des Landes abgegrenzt und damit die Stammwählerschaft der Frente bedient.


Das politische Kalkül der Frente Sandinista liegt sicher darin, mehr strenggläubige Wähler(innen) zu gewinnen, die einerseits den Empfehlungen des Klerus unbedingt Folge leisten und andererseits mit der liberalen Regierung und ihren die Spaltung in Arm und Reich fördernden Maßnahmen unzufrieden sind. Ob dieses Konzept aufgehen kann, werden die kommenden Wahlen zeigen.

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