El veneno
Seite an Seite gehen die Männer im Morgengrauen über das Feld. Auf ihren Rücken tragen sie bunte Plastikkanister. Mit dem einen Arm pumpen sie eine Flüssigkeit aus dem Kanister in den Spritzschlauch in der anderen Hand. Die Sprühdüse bewegt sich rhythmisch über die Setzlinge. Kniehohe Pestizidnebel umwabern die Gummistiefel. Die Männer versprühen Cipermetrina.
Das Produkt ist eines der meistbenutzten Schädlingskiller in Mittelamerika, da es eines der billigsten ist. Bei direktem Kontakt reizt es die Haut und kann Vergiftungserscheinungen wie Kopfschmerzen, Erbrechen und starke Koordinationsstörungen hervorrufen. Noch viel schlimmer: Cipermetrina wird verdächtigt Krebs zu verursachen und die Fortpflanzungsfähigkeit zu schädigen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Cipermetrina in die dritthöchste Gefährdungsklasse für Pestizide eingestuft (insgesamt gibt es fünf). Dies bedeutet, dass schon ein kurzer Kontakt gefährlich sein kann, sogar, wenn Spezialisten, ausgestattet mit Schutzkleidung, Gesichtsmasken und ausreichenden Waschmöglichkeiten, mit dem Mittel hantieren.
Doch das alles haben die Männer auf dem Feld nicht. Sie trocknen ihre Hände an der Hose. In der Pause essen und rauchen sie, ohne die Möglichkeit sich vorher die Hände zu waschen. Sie nehmen nicht einmal mehr den Geruch der Agrochemikalie wahr. Sie stören sich auch nicht daran, dass einige der Kanister und Schläuche lecken und ihnen die milchige Flüssigkeit über die Arme und den nackten Oberkörper rinnt. In einer Plastiktonne haben die Männer das Gemisch aus Wasser und veneno (Gift) zusammengerührt, mit bloßer Hand. Die leeren Giftbehälter mit dem aufgedruckten Totenkopf und dem Warnhinweis "Gefährlich" landen neben dem Feld. Die Kopfschmerzen kommen von der Arbeit in der gleißenden Sonne, sagt einer der Arbeiter. Und die juckenden Flecken auf der Haut hat sowieso jeder: Berufskrankheit! Das sei normal in Nicaragua.
Leider ist es das auch. Jeden Tag werden Unmengen an Agrochemikalien versprüht, als sei es eine neue Form der Bewässerung. In der Liste der häufigsten Todesursachen rangieren Vergiftungsfolgen durch Agrochemikalien auf Platz 4, hinter Totgeburten, Säuglingssterblichkeit und Atemwegserkrankungen. Nicht selten werden die hochgiftigen Substanzen auch zum Selbsmord benutzt, ein qualvoller und schrecklicher Tod.
"Unwissenheit verursacht die schlimmsten Unfälle" , so Jackelin Berroterán, Epidemiologin am Toxikologischen Institut des Gesundheitsministeriums in Managua (MINSA). Häufig erlebte sie, dass Mütter den Kopflausbefall ihrer Kinder mit dem extrem giftigen Milbenkiller Parathion-methyl (höchste WHO-Klasse) behandelten. Männer versuchten Pilzerkrankungen am Penis mit dem Herbizid Paraquat Herr zu werden. Die Folgen: wochenlange Krankenhausaufenthalte und lebenslange Nieren- oder Leberschäden.
In San Rafael del Sur sind solche Behandlungen, dank der verbesserten Gesundheitsversorgung, zum Glück nur noch selten. Aber dennoch werden auch hier noch hochgiftige Substanzen wie Cipermetrina zum Einsatz gebracht. Lediglich 20 Produzent(inn)en mit 20 Manzanas gehen einem rein ökologischen Anbau nach. Auch vor den Häusern macht das Gift nicht Halt. Dienen doch die alten Giftbehälter als Hocker oder Wasserreservoir. Allerdings werden hier aus Kostengründen weniger Insektizide und Fungizide verbreitet. Pilzen begegnet man hier mit Kalk oder der Sabila-Pflanze, gegen Insekten benutzt man Rauch um die Häuser trocken zu halten. Pervers, dass gerade die große Armut dazu beiträgt, dass die Umwelt und somit die Gesundheit der Menschen geschont wird.
Die Antwort der Chemieindustrie lautet "SAFE USE": Der sichere Umgang mit Chemikalien sei erlernbar. "Wir helfen aktiv mit, Zwischenfälle zu minimieren, ohne Agrochemie würden die Menschen verhungern", so Francisco Ortega, Vorsitzender des Agrochemie-Verbandes ANIFODA von Nicaragua. 20 000 $ sollen in den nächsten Jahren für "Safe-use-Kampagnen" ausgegeben werden. Eine eher bescheidene Summe im Vergleich zu den Milliardengewinnen der Chemieindustrie.
Doch der Widerstand gegen die Chemiegiganten wächst. In Nicaragua dürfen Pestizide nur noch in Fachgeschäften verkauft werden. Auch wird derzeit darüber gestritten die drei gefährlichsten Pestizide Methamidophos, Methomyl und Parathion-methyl vom Markt zu nehmen. Ein erster kleiner Schritt.
Auszug aus dem Schadstoffinformationssystem der Enius AG:
Parathion-methyl
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Methamidophos
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Die Firma BAYER CropScience (zweitgrößter Agrochemie-Hersteller in der Welt) hat schon vor sieben Jahren angekündigt diese Mittel nicht mehr herstellen zu wollen und durch andere, nicht so giftige zu ersetzen. Passiert ist aber bisher noch nichts. Annick Dollacker, Sprecherin des Unternehmens: " Wir haben das angekündigt - daran arbeiten wir weiterhin. Aber wir wollen nicht die Wirkstoffe austauschen, denn das ist keine Lösung. Die sind in Mittelamerika zugelassen und nützlich und werden gerne gekauft. Für jedes neue Produkt müssen wir rund 50 000 Substanzen testen. Das braucht Zeit und kostet Geld. Auch wenn Bayer diese Wirkstoffe nicht mehr vertreiben würde, gäbe es andere Hersteller, die den Markt weiter beliefern." Im Klartext: Warum an neuen Alternativen arbeiten, wenn man mit dem alten Gift Milliarden machen kann! Das hört sich wirklich nicht nach einem ernsthaften Vorhaben an.
Aber nicht nur die Chemie-Giganten in Europa und den USA sind das Übel. Auch die Konsument(inn)en trifft eine Teilschuld. Ohne den massiven Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln ist der Anbau in großflächiger Monokultur von Bananen und Tabak nicht machbar. So werden beim Tabakanbau jedes Jahr durchschnittlich 32 Liter pro Manzana (0,75 Hektar) der hochgiftigen Substanzen verbraucht. Damit frisst die Schädlingsbekämpfung über 40% der Produktionskosten. Deshalb müssen auch wir, die Konsument(inn)en, umdenken: weg von der makellosen Designer-Banane. In Zukunft ist die Banane kleiner und hat braune Flecken. Aber krumm wird sie immer bleiben...