In Nicaragua wird’s heiß
Massive Einmischung der USA in den Wahlkampf befürchtet
Nach einer Mitte Mai durchgeführten Meinungsumfrage liegt der Generalsekretär der "Frente Sandinista de Liberación Nacional" (FSLN), Daniel Ortega Saavedra, im Rennen um die Präsidentschaft in der Gunst der nicaraguanischen Wähler(innen) mit 6 % zur Zeit deutlich vor seinen Konkurrenten. Er erreichte bei einer Umfrage ("Wie würden Sie abstimmen, wenn heute Wahlen wären?") unter 1.966 Bürger(inne)n der Pazifikregion, des Nordens und der Zentralregion 38,5 %, während der konservative Bewerber, Enrique Boláños, auf 32,5 % kam und der liberale Noel Vidaurre mit 13 % abgeschlagen auf dem letzten Platz landete.
Knapp ein Drittel der Befragten (31 %) gaben an, dass sie bei den Wahlen im November Betrug erwarten, während 43 % auf einen sauberen Verlauf setzen. 26 % beantworteten die entsprechende Frage nicht. Die bisherige Arbeit des neuen, sandinistischen Bürgermeisters der Hauptstadt Managua beurteilten die Interviewten überwiegend sehr gut: 30 % halten sie für "ausgezeichnet", 29 % für "sehr gut", 14,6 % für "gut" und nur 9,5 % für "unzureichend".
Dionisio Marenco, einer der engsten Berater Ortegas, zeigte sich über das Umfrageergebnis naturgemäß erfreut und bezeichnete es als "irreversibel". Die Sandinisten, fügte er hinzu, hofften auf "freundschaftliche, herzliche und respektvolle" Beziehungen zu den USA, wenn sie an die Macht zurückkehrten. "Ich sehe keinen Grund, weshalb die US-Administration irgendein Problem mit uns haben sollte."
Daniel Ortegas designierter Vize-Präsident, der frühere Leiter des Obersten Rechnungshofes Nicaraguas und Chef der Christlich-Sozialen Partei, Augustín Jarquín, erklärte während eines USA-Aufenthaltes, eine von Ortega und ihm geführte Regierung würde Investitionen in Landwirtschaft, Fischerei, Tourismus und anderen Bereichen ermutigen. Ein Problem in der Zusammenarbeit seiner Partei mit der FSLN sieht er nicht: Im Chile nach Pinochet seien Sozialdemokraten und Christdemokraten, die einander zuvor hassten, in einer politischen Koalition zusammengekommen, um zum Wohle des Landes zu arbeiten. Er ist der Meinung, dass eine neue Beziehung zu den USA beginne: Immerhin hatten die sandinistischen Abgeordneten der Nationalversammlung kürzlich einem Abkommen zugestimmt, das Truppen der USA humanitäre Einsätze in Nicaragua und US-Aktionen zur Drogenbekämpfung in nicaraguanischen Gewässern erlaubt (siehe auch "Kurzmeldungen"). "Es gibt eine Evolution" in den Beziehungen, stellte Jarquín fest.
Ob man das in den USA auch so sieht?
Der jetzige Präsident Bush (Junior) versucht, die damaligen Berater seines Vaters und seines Vorgängers Ronald Reagan in Zentralamerikafragen wieder in Position zu bringen. Wenn es ihm gelingt, wird die Vergangenheit die Gegenwart einholen. So hat er John Negroponte zum UN-Botschafter ernannt. Negroponte, während des Contrakrieges US-Botschafter in Honduras, spielte eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Contras und der Verschleierung von Menschenrechtsverletzungen durch honduranisches Militär.
Die FSLN versucht, wie 1990, angesichts der sich im Norden zusammenbrauenden dunklen Wolken gut Wetter zu machen. Damals zogen sie den Wahltermin vor und erlaubten die massive politische und finanzielle Unterstützung des politischen Gegners vom Ausland her, um die Einmischung der USA in den Wahlkampf zu mildern. Jetzt stimmten sie in der Nationalversammlung dafür, dass die USA Truppen zu "humanitären Einsätzen" nach Nicaragua senden dürfen. Zufällig, so Berichte, werden zahlreiche dieser Soldaten entlang der Route des geplanten "trockenen Kanals" stationiert werden, einer Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke, die den Pazifik mit dem Atlantik für den Gütertransport verbinden soll. Der Bau dieser Bahn, so befürchten Umweltschützer und Menschenrechtler, wird den Regenwald entlang der Strecke zerstören und das Volk der Rama auslöschen.
Aber diese Zugeständnisse scheinen dem US-Botschafter in Nicaragua, Oliver Garza, nicht zu genügen. Er wird die Latte, über die er die Sandinisten springen sehen möchte, höher und höher legen. Und er machte keinen Hehl aus der Ablehnung der USA im Falle eines Wahlsieges der FSLN: "Wenn die Sandinisten die kommenden Wahlen gewinnen, ihre Politik aber nicht ändern, dann werden die USA auch nicht ihre Politik ihnen gegenüber ändern. Wir werden an unserer Politik der Verteidigung der Demokratie festhalten, bis wir grundsätzliche Veränderungen, insbesondere in der Sandinistischen Partei, sehen."