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Freihandelszonen in Nicaragua

Chance für wirtschaftlichen Aufschwung oder Sumpfblüten des Neoliberalismus?
Nicaraguanische und US-amerikanische Unternehmer wollen bei Granada, etwa 45 Kilometer südlich der Hauptstadt Managua, eine neue Freihandelszone errichten. Es soll die größte ihrer Art in ganz Mittelamerika werden. Das vom Präsidenten der nicaraguanischen Industrie- und Handelskammer, Gabriel Pasos, geleitete Projekt, in dem 20 Unternehmen (vornehmlich der Textilbranche) angesiedelt werden, soll in den ersten fünf Jahren nach Betriebsaufnahme 10.000 neue Jobs bringen. Die Einrichtung der Freihandelszone, die den steuerfreien Import aller Materialien erlaubt, die in der in diesen Betrieben verarbeitet werden und deren Produkte für den Export vorgesehen sind, "bildet Teil einer Strategie, Nicaragua in eines der wichtigsten Handelszentren Mittelamerikas zu verwandeln", erklärte Gabriel Pasos. Allerdings fehlt noch die Zustimmung der Nationalversammlung in der Frage der Steuerfreiheit.

Der Komplex soll auf 73 Hektar Fläche am Ufer des Nicaraguasees gebaut werden, den die Unternehmer dafür nutzen wollen, ihre Produkte in die USA und nach Europa zu verschiffen. In einem von der Nationalversammlung bereits verabschiedeten Projekt will Nicaragua 40 bis 50 Millionen Dollar in die Schiffbarmachung und teilweise Kanalisierung des Río San Juan investieren. Dieser so genannte "Nicaragua-Öko-Kanal" mit drei Staustufen soll ab 2006 Granada mit der Karibik verbinden. Diese Route wurde bereits von 1540 bis 1890 unter anderem dazu genutzt, Goldsucher von der US-amerikanischen Ostküste nach Kalifornien und Alaska zu transportieren, jedoch nach der Eröffnung des Panamákanals im Jahre 1914 endgültig nicht mehr betrieben. Der Kanal, der auch von anderen Ländern genutzt werden soll, wird, so Gabriel Pasos, entlang seiner 360 Kilometer Länge auch den allgemeinen Handel fördern. – Ob dann von "Öko" noch viel bleiben wird? Umweltschützer, die schon heute den (illegalen) Raubbau am größten noch zusammenhängenden Regenwald Mittelamerikas beklagen, melden erhebliche Zweifel an.

12 Millionen Dollar wollen die Investoren in die Errichtung von Werksgebäuden und Infrastruktur einbringen. Sie rechnen mit jährlichen Exporten in Höhe von gut 100 Millionen Dollar allein aus dieser neuen Freihandelszone (bei jährlichen Gesamtexporten Nicaraguas von derzeit 600 Millionen US-$). Ein Segen für die 160.000 Einwohner(innen) Granadas und ganz Nicaraguas also?

Bereits in Heft # 41 berichteten wir darüber, dass Nicaraguas Bevölkerung zu den Verlierern der Globalisierung und des Neoliberalismus‘ gehört: nach Abwahl der Sandinisten 1990 Sinken des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf um 50 % (!), Abrutschen des Landes in der Armutsskala auf Platz 170 (von 210 Ländern insgesamt), galoppierende Verarmung der Menschen, immer weiteres Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, Zunahme der Analphabetenquote, miserable Gesundheitsversorgung, steigende Kinder- und Erwachsenensterblichkeit.

Und in der vorletzten Ausgabe (Atabal # 42) schilderten wir die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, die in zahlreichen Betrieben der Freihandelszonen (nicht nur in Nicaragua) herrschen, und die Kämpfe, die die Arbeiter(innen) dagegen und für ihre Rechte zu führen gezwungen sind. Mangelnde Schutzmaßnahmen an den Arbeitsplätzen und hoher Normendruck bei den Akkordarbeiten führen oft zu vermeidbaren Unfällen (in einem Fall sogar mit Todesfolge für einen jungen Mann) und zu Krankheiten (z.B. allergisches Asthma durch die Staubflusen in der Luft der Textilbetriebe). Für den Gang zur Toilette gab und gibt es Passierscheinkontingente, die gegen Ende der oft über 8 Stunden dauernden Arbeitszeit natürlich erschöpft sind, sexuelle Übergriffe und Beschimpfungen durch Vorarbeiter sind an der Tagesordnung, die ohnehin geringen Urlaubsansprüche werden meist billig abgegolten (was die Frauen aus Angst um ihren Arbeitsplatz notgedrungen akzeptieren), Kinderbetreuung fehlt häufig ganz und die medizinische Versorgung ist oft mangelhaft.

Diese an übelste Verhältnisse im frühkapitalistischen Europa erinnernden Arbeitsbedingungen wurden uns nun noch einmal von Josefa Rivera bestätigt. "Chepita" Rivera ist Funktionärin der "Movimiento de Mujeres Trabajadoras y Desempleadas María Elena Cuadra" (Bewegung der Arbeitenden und Arbeitslosen Frauen "María Elena Cuadra", MEC) und trat im Rahmen einer von INKOTA organisierten Rundreise in unserem Juni-Plenum im "Haus der Demokratie und Menschenrechte" auf.

Gut 80 % der in den vornehmlich aus asiatischen Ländern und den USA stammenden Betrieben der Freihandelszonen arbeitenden Menschen sind Frauen, viele von ihnen alleinerziehende Mütter. Besonders für sie setzt MEC sich, gemeinsam mit den (sandinistischen) Gewerkschaften und eingebunden in ein Netzwerk ähnlicher Organisationen in El Salvador, Guatemala und Honduras, ein: 30.000 Unterschriften wurden gesammelt und dem Parlament, dem Arbeitsministerium, der Kirche und den Unternehmen eingereicht, um einen "Ethik-Kodex" durchzusetzen, der die elementarsten Grundrechte der Arbeiter(innen) garantieren soll. Streiks wurden organisiert und erfolgreich durchgestanden: Viele der Arbeiter(innen), die wegen gewerkschaftlicher Betätigung, Schwangerschaft oder "ungebührlichen" Verhaltens entlassen worden waren, mussten wieder eingestellt werden. Zahlreiche Betriebe, darunter sogar die berüchtigte Fabrik "Chentex" der taiwanesischen "Nien Hsing Textile Co." (wir berichteten), sahen sich inzwischen genötigt, den "Ethik-Kodex" zu unterzeichnen und zu Unrecht entlassene Arbeiter(innen) wieder einzustellen, um weiter produzieren zu können. Das Arbeitsministerium, das den Firmen in den Freihandelszonen sicher nicht übel gesonnen ist, hat inzwischen ein neues Arbeitsgesetz verabschiedet, das viele der Forderungen der Arbeiter(innen) wie u.a. auch die Einhaltung von Mutterschutzzeiten berücksichtigt. Auf Anzeige von MEC oder Gewerkschaften wurden einigen Firmen, die gegen das neue Gesetz verstießen, bereits empfindliche Geldbußen auferlegt.

Zu diesem Erfolg hat auch der Druck beigetragen, den die internationale "Kampagne Saubere Kleidung" (KSK), die in der Bundesrepublik Deutschland von Kirchen und Gewerkschaften mitgetragen wird, auf direkt oder indirekt beteiligte Firmen ausübt. Die KSK fordert von Freihandelszonen-Produzenten wie etwa "Adidas" und "Puma" aus dem Sportartikelbereich und Importeuren von Produkten wie "Karstadt / Quelle" die Einhaltung des ausgehandelten Kodex‘ und des Arbeitsgesetzes. Allerdings, so Josefa Rivera, müssen die Aktionen der KSK noch enger mit den Organisationen in den Ländern abgestimmt werden: Ein Schließen der Fabriken in den Freihandelszonen würde schließlich den Verlust Tausender Arbeitsplätze bedeuten, die in einem der ärmsten Länder der Welt wie Nicaragua aber dringend gebraucht werden.

Die MEC begreift sich nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den Gewerkschaften. In ihren Broschüren und dem regelmäßig erscheinenden "Boletina" leistet MEC auch Aufklärungsarbeit zu Themen wie Menschenrechte, Arbeitsrecht und Sexualität. Rund 6.000 Arbeiterinnen haben bisher Schulungskurse der MEC absolviert, 2.000 Frauen wurden in Arbeitsrecht geschult und 300 zu Gesundheitspromotorinnen ausgebildet.

Trotz aller Erfolge gehen die Schikanen gegen die Arbeiter(innen) in den Betrieben der Freihandelszonen weiter. Die Firmen versuchen, die getroffenen Abkommen zu unterlaufen, wo es nur geht: Zum Beispiel verpflichtet, den unterzeichneten "Ethik-Kodex" bzw. das Arbeitsgesetz in ihren Fabriken auszuhängen, kamen die Unternehmen dieser Forderung nach: Sie hängten Tafeln mit dem Text auf Englisch (!) aus. Noch immer ist es auch nicht opportun, sich als Gewerkschafter(in) oder MEC-Mitglied zu "outen": ein Entlassungsgrund findet sich immer. Warum sollte das in der neuen Freihandelszone bei Granada anders sein? Im Mittelpunkt steht für die Unternehmen schließlich nicht der Mensch, sondern der Profit.

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