Herty Lewites erliegt einem Herzinfarkt
Der Bericht für diese Titelseite war schon geschrieben, als die nicaraguanische Presse meldete, dass Herty Lewites, durchaus aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat für die Wahlen im November 2006, am 2. Juli als Folge eines Herzinfarktes verstorben ist. Lewites, populärer Bürgermeister von Managua von 2000 bis 2004, wurde 66 Jahre alt. Er hatte bereits zwei Herzattacken und eine by-pass-Operation hinter sich und trug einen Herzschrittmacher. Das hielt ihn entgegen des Rates seiner Ärzte jedoch nicht davon ab, für einen unorthodoxen Sandinismus zu kämpfen und dafür das Amt des nächsten Präsidenten anzustreben.
Lewites war 35 Jahre lang militantes Mitglied der FSLN. Während der revolutionären Kämpfe gegen die Diktatur Somozas beschaffte er immer wieder Waffen für die sandinistischen KämpferInnen. Nach dem Sieg der Revolution war er einige Zeit Tourismusminister, zog sich aber auch für mehrere Jahre aus dem politischen Tagesgeschehen zurück, ehe er als Bürgermeister der FSLN fünf Jahre mit großem Erfolg Managua regierte. Als er sich 2005 allerdings anmaßte, von Ortega parteiinterne Wahlen zum Präsidentschaftskandidaten zu fordern und sich selbst für diese Funktion anbot, wurde er kurzfristig aus der Partei ausgeschlossen. Seine neue politische Heimat fand er in dem MRS (Movimiento Renovador Sandinista), in dem sich bereits zahlreiche andere kritische Dissidenten wie Sergio Ramírez, Giaconda Belli, Henry Ruíz, Dora Maria Tellez oder Monica Baltodano zusammen gefunden hatten. So ging er im Frühjahr als Präsidentschaftskandidat der Alianza MRS Herty 2006 in den Wahlkampf.
Nach dem ersten Schock äußerten prominente VertreterInnen des MRS sehr schnell, dass der Tod von Lewites "nicht das Ende des Kampfes gegen den schmutzigen Pakt (zwischen Ortega und Alemán), Arbeitslosigkeit und Verelendung der Bevölkerung" bedeute. Und Gioconda Belli, Nicaraguas prominenteste Dichterin, ergänzte: "Wir SandinistInnen sind gewohnt, die Flagge der Gefallenen zu ergreifen und weiter vorwärts zu schreiten, und das ist genau das, was wir auch dieses Mal tun werden." Nicaraguas Wahlgesetz lässt zu, dass im Falle des Todes eines Kandidaten dessen Partei einen neuen Kandidaten bestimmen darf. Dies ist unmittelbar nach den Trauerfeiern und dem Begräbnis von Lewites geschehen. Wenig überraschend ist vom Parteivorstand der von Herty Lewites für den Posten des Vizepräsidenten vorgesehene Edmundo Jarquín als neuer Präsidentschaftskandidat benannt worden. Jarquín war früher Abgeordneter und Botschafter der revolutionären Regierung Nicaraguas, arbeitete jedoch seit Jahren für die Internationale Entwicklungsbank BID in Washington. Im Team mit Lewites stand er für einen gemäßigt neoliberalen Kurs. Er versicherte sogleich, den Wahlkampf im Sinne von Lewites fortzuführen. Ob er dessen Popularität in der Bevölkerung allerdings erreichen kann, muss bezweifelt werden. In diesem Zusammenhang erscheint es als geschickter Schachzug, den Sänger und Songschreiber Carlos Mejía Godoy als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft zu gewinnen. Godoy soll die emotionale Lücke schließen, die Lewites in der Allianz hinterließ. "Carlos ist überaus bekannt und beliebt, sowohl innerhalb wie außerhalb Nicaraguas", kommentierte Jarquín seine Entscheidung. "Er hat seine Wurzeln im Sandinismus, aber auch außerhalb des Sandinismus, er kennt jeden Winkel unseres Nicaraguas, und er gibt unserer Mannschaft das Charisma und die Sympathie, die uns nach dem Scheiden von Herty fehlen." Und Mejía Godoy erklärte anlässlich seiner Nominierung: "Wir sind nicht zu zweit, wir sind jetzt zu dritt. Die Leute haben Recht, wenn sie sagen, dass wir ohne Herty nicht gewinnen können. Aber sie irren sich, wenn sie sagen, dass Herty nicht mehr da ist. Auch Sandino ist tot, aber der Sandinismus lebt. So ist auch Herty bei uns, und Herty wird Präsident sein." Der folgende Artikel wurde wenige Tage vor dem Tod von Lewites geschrieben. Er berücksichtigt noch nicht die zu erwartenden Veränderungen im nicaraguanischen Wahlkampf, soll aber wegen der grundsätzlichen Informationen, die er enthält, dennoch an dieser Stelle erscheinen.
Entscheidung erst im zweiten Wahlgang?
In den vergangenen Präsidentschaftswahlen hatten die NicaraguanerInnen immer nur die eine Wahl zwischen der FSLN mit Daniel Ortega und dem liberalen Block mit jeweils wechselnden Kandidaten. Wenn dieses Jahr am 5. November der nächste Präsident Nicaraguas gewählt wird, ist vieles anders. Lässt man einmal Edén Pastora von der Alternativa por el Cambio außer Betracht, der ohne Parteibasis keine reellen Chancen auf einen Sieg hat, so präsentieren sich den WählerInnen vier politische Allianzen. Auch dieses Jahr sind FSLN und Liberale vertreten. Für die von der FSLN dominierte Gran Alianza Nicaragua Triunfa (Sieg der großen Allianz Nicaragua) tritt einmal mehr Daniel Ortega als Präsidentschaftskandidat an, das vierte Mal seit seiner Abwahl 1990. Für die PLC und ihre verschiedenen liberal-konservativen Fraktionen stellt sich José Rizo zur Wahl, enger Vertrauter des seit Jahren wegen Korruption und Geldwäsche verurteilten früheren Präsidenten Alemán. Wieder einmal haben die beiden Caudillos, seit Jahren durch den berüchtigten Pakt miteinander verbunden, sich in ihren Parteien gegen alle internen Widerstände durchgesetzt.
Alianza MRS Herty 2006
Doch diesmal mit erheblichen Folgen. Denn um die populären Dissidenten beider Lager haben sich attraktive Alternativen mit guten Erfolgsaussichten gebildet, die das festgefahrene Parteienspektrum wesentlich verändert haben. Auf der Linken war bis zu seinem Tod vor wenigen Tagen Herty Lewites ein ernsthafter Konkurrent für Ortega. Lewites, populärer Ex-Bürgermeister von Managua, wollte Ende 2005 selbst für die FSLN kandidieren und verlangte aus diesem Grund eine parteiinterne Abstimmung. Ortega und ein kleiner Kreis orthodoxer Mitstreiter, nicht gewillt, die Macht zu teilen oder abzugeben, setzten darauf hin unter fadenscheinigen Gründen den Ausschluss von Lewites aus der FSLN durch. Dieser fand seinen neuen Platz daraufhin als Führungsfigur in der Alianza MRS Herty 2006, die im Wesentlichen von dem MRS (Movimiento Renovador Sandinista) geprägt wird. Dieser Bewegung gehören neben zahlreichen kritischen Ex-Comandantes wie Henry Ruíz oder Monica Baltodano auch Persönlichkeiten wie Giaconda Belli, Ernesto Cardenal und Sergio Ramírez an. Das MRS hatte zwar bei Parlamentswahlen bislang nur wenig Erfolg, da seine Wählerschaft immer auf wenige städtische Schichten begrenzt blieb, doch mit dem im ganzen Land beliebten Lewites wuchs in den letzten Monaten auch die Bekanntheit in den ländlichen Gebieten Nicaraguas.
Alianza Liberal Nicaragüense – Partido Conservador
Wie die FSLN schuf sich auch die PLC die größte Konkurrenz im eigenen Lager. Ihr Dissident heißt Eduardo Montealegre. Er war Minister unter Alemán und Bolaños, verfolgt jedoch seit mehr als einem Jahr das Ziel, die PLC vom Einfluss Alemáns zu befreien. Als er sich damit innerhalb der PLC nicht durchsetzen konnte, gründete er die ALN (Alianza Liberal Nicaragüense) und stellt heute den Präsidentschaftskandidaten für die ALN-PC, ein Bündnis mit den inzwischen eher unbedeutenden Konservativen. Nach der Abkehr von der PLC, da sich diese nicht wie gefordert von ihrem Führer Alemán distanzierte, ist der Bankier Montealegre eindeutiger Favorit der USA für die Präsidentschaft. Von ihm wird die uneingeschränkte Fortführung der neoliberalen Politik des amtierenden Präsidenten Bolaños erwartet, dessen Funktionäre sich auch in großer Zahl auf der Abgeordnetenliste der ALN-PC wieder finden.
Wenige Tage vor dem plötzlichen Tod von Lewites veröffentlichte Cid-Gallup die jüngsten Umfrageergebnisse zur Präsidentschaftswahl. Danach würde derzeit keiner der Kandidaten als Sieger aus einem ersten Wahlgang hervorgehen. Zwar reichen in der ersten Runde 35 Prozent der abgegebenen Stimmen, sofern der Zweitplatzierte mindestens fünf Prozent dahinter liegt, aber laut Umfrage liegen alle Kandidaten unterhalb der 30 Prozentmarke. An erster Stelle der WählerInnengunst liegt demnach Ortega, für den 23 Prozent der WählerInnen votieren würden. Es folgen Montealegre mit 17 Prozent und Lewites mit 15 Prozent der Stimmen, erst an vierter Stelle rangiert Rizo deutlich abgeschlagen mit 11 Prozent. Dabei ist Ortega gleichzeitig der einzige, der im Vergleich zum April deutlich um sieben Punkte zulegen konnte, während alle anderen Kandidaten verloren. Der Zuwachs bei Ortega resultiert allerdings nicht aus den Verlusten seiner Konkurrenten, sondern allein aus der fast vollständigen Mobilisierung seiner Basis. Etwa ein Drittel der WählerInnen ist noch vollkommen unentschieden, sodass die Umfrageergebnisse noch keine wirkliche Tendenz erkennen lassen. Aber man geht bei einer Fehlerquote von drei Prozent und einer spontanen Entscheidung am Wahltag von weiteren drei Prozent davon aus, dass Ortega mit daraus resultierenden maximal 29 Prozenten sein WählerInnenpotential praktisch ausgeschöpft hat. Immerhin versichern 47 Prozent der WählerInnen, dass sie Ortega unter keinen Umständen ihre Stimme geben werden.
Eine Entscheidung über die Präsidentschaft fiele nach diesem Szenario also erst in einem zweiten Wahlgang. Als Herausforderer von Ortega hätten sowohl Montealegre als auch Lewites gleich gute Chancen. Nach dem Tod von Lewites ist allerdings noch vollkommen offen, ob sein Nachfolger ähnlich hohe Werte in der Beliebtheitsskala der Bevölkerung erzielen kann. Rizo wird schon heute nicht mehr zugetraut, dass er an seinem liberalen Konkurrenten Montealegre vorbeiziehen könnte.
Wie machtvoll der zukünftige Präsident allerdings regieren kann, hängt vor allem von der zukünftigen Verteilung der Sitze der Parteien im gleichzeitig gewählten Parlament ab. Hier sind die Präferenzen der Wählerschaft andere als bei der Entscheidung für einen Präsidenten. Zwar führt auch hier die FSLN mit 29 Prozent, wird aber gefolgt von der PLC mit 21 Prozent der Stimmen und, weit abgeschlagen, ALN und MRS mit jeweils acht Prozent. Bliebe es bei diesen Relationen, so hätte auch ein möglicher Präsident Lewites kaum Erfolg haben können mit seinem erklärten Ziel, den "ruchlosen Pakt" zwischen FSLN und PLC zu zerschlagen und das Land von "dieser Diktatur" zu befreien. Es bleibt auch abzuwarten, wie lange die derzeitigen Konstellationen aufrechterhalten werden. Schon im Vorfeld der Kandidatenkür haben zahlreiche Politikerinnen kurzfristig das Lager gewechselt, immer auf der Jagd nach einem aussichtsreichen Listenplatz. Das kann auch bis kurz vor dem Wahltermin am 5. November nicht ausgeschlossen werden. Gleichzeitig darf nicht erwartet werden, dass die USA ihre trotz massiver Drohungen bislang vergeblichen Versuche aufgegeben haben, doch noch eine Einigung zwischen PLC und ALN herbeizuführen, um eine geschlossene Front gegen den "gemeinsamen Feind" zu bilden und einen Wahlsieg der Sandinisten zu verhindern.
Erich Köpp