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Streik im Gesundheitswesen

Die Ausgangssituation

Im Durchschnitt verdient ein nicaraguanischer Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen etwas mehr als 300 US-$ im Monat, der Lohn eines durchschnittlichen Arztes in Mittelamerika liegt jedoch bei über 500 US-$. GesundheitsarbeiterInnen, wie etwa LabortechnikerInnen, Krankenschwestern, Pflege-AssistentInnen usw. werden wesentlich schlechter als die ÄrztInnen bezahlt. Das Gesundheitsministerium MINSA hat für das nächste Jahr einen gesamten Haushaltsplan von 165 Millionen US-$ für das Gesundheitswesen erbeten, was eine Gehaltserhöhung für die GesundheitsarbeiterInnen von nur 8 bis 10% ermöglichen würde. Der Haushaltsplan 2006 wurde bereits am 22. November von der Nationalversammlung erörtert und verabschiedet. Laut Gesundheitsministerin Margarita Gurdián sei diese Gehaltserhöhung ausreichend, um die Inflationssteigerungen zu decken. Präsident Enrique Boláños äußerte sich auf die Möglichkeit einer Gehaltserhöhung von mehr als 10% mit der Aussage: "Die Allgemeinheit wird auf jeden Fall die Rechnung bezahlen müssen, denn wenn die Gehälter erhöht werden, müssen höhere Steuern gezahlt werden."

 

Der Streikbeginn

Am 14. November initiierten aufgrund dieser Bedingungen etwa 3000 Ärzte, die in der Ärzte-Organisation "Pro Salario" (Pro Gehalt) und koordiniert von Elio Artola organisiert sind, einen unbefristeten Streik. Ihr oberstes Ziel: Verbesserte Vertragsbedingungen ab dem Jahr 2006 sowie anfänglich eine Gehaltserhöhung um 140%, welche im Streikverlauf auf eine Forderung von 70% zurückgeschraubt wurde. Am 17. November schlossen sich daraufhin auch die 23.000 Mitglieder der Gewerkschaft der Angestellten im Gesundheitswesen FETSALUD (von insgesamt 24.000 ArbeiterInnen im öffentlichen Gesundheitswesen), dem Streik der Ärzte unter Führung von FETSALUD-Chef und FSLN-Abgeordnetem Gustavo Pórras an. Dadurch geriet der öffentliche Gesundheitsdienst fast zum vollständigen Erliegen. Das Ziel von FETSALUD, eine 100%ige Lohnerhöhung für alle ArbeiterInnen im öffentlichen Gesundheitswesen, ist auch von ihnen im Streikverlauf auf 35% gesenkt worden.

 

In den ersten Streiktagen wurden landesweit in den Krankenhäusern und Gesundheitszentren nur Notfälle von einer begrenzten Anzahl von Ärzten behandelt. Patienten, die zur Behandlung bereits in Krankenhäuser aufgenommen worden waren, wurden nur vom Pflegepersonal versorgt. Am 15. November reagierte Gesundheitsministerin Gurdián, indem sie das Arbeitsministerium aufforderte, den Streik für illegal zu erklären und den sieben Vorstandsmitgliedern von "Pro Salario" zu kündigen. Die Gesundheitsministerin forderte dabei die Angestellten im Gesundheitsdienst dringend auf, den Streik abzubrechen und in Verhandlungen einzutreten. Arbeitsminister Virgilio Gurdián erwiderte, er habe beschlossen, der Forderung "in den kommenden Tagen" zunächst nicht nachzukommen, um den streikenden Angestellten im Gesundheitswesen Gelegenheit zu geben, über ihre Forderungen mit der Gesundheitsministerin zu verhandeln.

 

Die Entwicklung des Streiks

Am 24. November bot die Regierung zum ersten Mal allen Angestellten eine Lohnerhöhung von 9% an. Nach Aussagen der Gesundheitsministerin sei aufgrund der Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein höherer Betrag unmöglich. Dieser erteilt im Rahmen des internationalen Entschuldungsprogramms, an dem Nicaragua beteiligt ist, bestimmte Auflagen, unter anderem, die Gehälter der Arbeiter im öffentlichen Sektor nicht über die Inflationsrate hinaus zu erhöhen.

 

Auf diesen Vorschlag reagierten die Gewerkschaften mit der Fortsetzung des Streiks und beharrten auf ihren Forderungen. Arbeitsminister Gurdián kündigte schließlich doch noch an, den Streik für illegal zu erklären und damit die Streikenden entlassen zu können, sollte dieser bis zum 30. November nicht beendet werden. "Pro Salario" dehnte daraufhin den Streik auch auf die privaten Bereiche der öffentlichen Krankenhäuser und Gesundheitszentren aus. Während die 3.000 Ärzte nun schon in der vierten Woche mit organisierten Protestmärschen weitermachten, unterbrachen die 23.000 Mitarbeiter von FETSALUD ihre Aktionen bis zum 15. Januar. Mitte Dezember versuchte Arbeitsminister Gurdián, den Verhandlungsprozess zwischen Gesundheitsministerium und der Gewerkschaft noch einmal neu zu beleben, bevor der Streik für illegal erklärt wird. Daraufhin drohte die Gewerkschaft, Notfälle nicht mehr zu behandeln, sollte dies geschehen.

 

Das Streikgeschehen seit Januar

Nach weiteren gescheiterten Verhandlungen in der zweiten Januarhälfte begann "Pro Salario", nun auch die Notfallversorgung in den Streik mit einzubeziehen. Dies führte zu einer völligen Schließung mehrerer Krankenhäuser in Managua und in anderen größeren Städten. Eine 77jährige Frau starb, als sie nach einem häuslichen Unfall vergeblich einen Arzt zu erreichen versuchte. Während der gesamten Streikphase gab es für die nicaraguanische Bevölkerung keinen Zugang mehr zur Gesundheitsversorgung in öffentlichen Krankenhäusern oder Gesundheitszentren.

 

Auch ein Angebot des Gesundheitsministeriums für eine Gehaltserhöhung von 15%, aufgrund einer Zusage des Finanzministeriums für eine zusätzliche Summe von 172 Millionen Córdobas (10,1 Millionen US-$) für die Gehälter der Gesundheitsarbeiter sowie das Angebot von zusätzlichen Unterstützungen für Ärzte, durch die diese Lebensversicherungen und die Gelegenheit zur Teilnahme an einem Wohnungsprogramm erhalten sollen, wurde kategorisch von "Pro Salario" abgelehnt. FETSALUD kritisierte den Entschluss von MINSA, diese zusätzlichen Angebote nicht für alle Gesundheitsarbeiter anzubieten. Bereits zu Beginn des Jahres nahmen über 1.000 Ärzte an einem Protestmarsch in Managua als Zeichen der Ablehnung dieses Angebots teil. Vertreter von "Pro Salario" betraten das Präsidentenamt, wo sie vom Präsidentensprecher und dem Sekretär des Präsidenten empfangen wurden. Die Ärzte forderten Präsident Boláños schriftlich auf, sich direkt in die Verhandlungen einzuschalten, so dass eine Lösung gefunden und der Streik abgesagt werden könne. Beide Gewerkschaften, "Pro Salario" und FETSALUD, kritisierten hart die Politik des IWF und bezweifelten die Relevanz der Politik innerhalb des nicaraguanischen Kontexts.

 

Am 20. Januar gab Arbeitsminister Gurdián schließlich bekannt, den Streik für illegal zu erklären: "Das Gesundheitsministerium ist ermächtigt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und streikende Ärzte zu entlassen oder ihre Gehälter einzubehalten." Als die Ärzte auch 2 Tage darauf nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten, informierte das Gesundheitsministerium zwölf der führenden Mitglieder des Ärzte-Verbandes, dass behördlicherseits ihre Entlassung verfügt worden sei. Die betroffenen zwölf führenden Ärzteverbandsmitglieder legten daraufhin erfolgreich Berufung gegen diese Verfügungen vor dem Gericht in Managua ein. Somit wurde bereits kurz darauf der Streik wieder für legal erklärt.

 

Die Spannungen in den öffentlichen Krankenhäusern stiegen inzwischen weiter, weil die vom Gesundheitsministerium speziell eingestellten Ersatzärzte ihre Positionen in den öffentlichen Krankenhäusern im Land aufnahmen, um Notfälle zu behandeln. Eine Gruppe von streikenden Ärzten versuchte, den Eingang eines öffentlichen Krankenhauses in Managua zu blockieren, weil ein Team von Ersatzärzten versucht hatte, die Notaufnahme wieder zu eröffnen. Die protestierenden Ärzte trugen Spruchbänder, auf denen die Abgeordneten aus der Nationalversammlung darum gebeten wurden, ihre eigenen Gehälter zu senken, um mehr Geld für das Gesundheitssystem zu haben.

 

Mittlerweile bot "Pro Salario" der Gesundheitsministerin eine Senkung der Forderungen nach Gehaltserhöhung von 70 auf 30% in Kombination mit einer Lebensversicherung und einem Wohnungsprogramm, was die Ministerin wiederum ablehnte. Eine 30%ige Gehaltserhöhung für Ärzte im öffentlichen Dienst würde in einem Jahr etwa 5,6 Millionen US-$ an Mehraufwand für die Regierung bedeuten.

Gegen Ende Januar nahm nun auch FETSALUD ihren Streik wieder auf und führte eine Serie von Protestaktionen als Teil ihrer Kampagne für eine Gehaltserhöhung um mittlerweile 48% durch. Ihre Forderungen beziehen sich nun auch darauf, dass alle Gebühren für die Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern und Gesundheitszentren gestrichen werden müssten. FETSALUD schlägt im Gegensatz zu "Pro Salario" die Streiktaktik ein, die Porras mit "verletzt die Regierung und nicht die Bevölkerung" bezeichnete. Sie bestreiken demnach nur die privaten Bereiche der öffentlichen Krankenhäuser und Gesundheitszentren, statt wie die Ärzte-Gewerkschaft die Notaufnahmen der medizinischen Einrichtungen. Durch die privaten Abteilungen innerhalb des öffentlichen Gesundheitswesens nimmt MINSA pro Jahr 7,35 Millionen US-$ ein. FETSALUD hatte mit Kundgebungen vor Krankenhäusern und auf Hauptstraßen begonnen sowie mit Verkehrsblockaden auf der Panamerikana und anderen Hauptverkehrsstraßen. Bisher waren alle Protestaktionen völlig friedlich.

 

Der gegenwärtige Stand

Auch im Februar und März hielten die Streiks der Gewerkschaften an. Einige Ärzte hatten Büros im Gesundheitsministerium besetzt, um Verhandlungen zu erzwingen und versuchten auch, in das Außenministerium zu gelangen. Die Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und "Pro Salario" wurden zwar wieder aufgenommen, zeigten sich jedoch bis jetzt als erfolglos. In einigen staatlichen Krankenhäusern nahmen Ärzte die Notfallversorgung wieder auf. Konferenzen, an denen der IWF-Vertreter Humberto Arbulú, Gesundheitsministerin Gurdián und Vertreter des Ärzte-Verbandes und der Gewerkschaft der Angestellten im Gesundheitswesen FETSALUD teilnahmen, wurden vom Erzbischof von Managua, Leopoldo Brenes, moderiert. Finanzminister Arana erklärte sich zwar einverstanden, zwischen den einzelnen staatlichen Sektoren Haushaltsumschichtungen vorzunehmen, zu einer Verhandlungslösung kam es aber bisher noch immer nicht. "Pro Salario" lehnt es gegenwärtig ab, gemeinsam mit FETSALUD mit der Regierung zu verhandeln, solange der FSLN-Abgeordnete Pórras der Chef von FETSALUD sei.

 

Quelle: www.nicanet.org

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