500.000 Kinder leiden in Nicaragua an den Folgen permanenter Mangelernährung
Ende letzten Jahres haben wir bei der EU einen Antrag auf Förderung eines Projekts zur Ernährungssicherheit von Frauen und Kindern in der Region San Rafael del Sur gestellt. Grundlage des Antrags war eine vom örtlichen Gesundheitszentrum durchgeführte Studie (siehe Atabal Nr. 55.) Inzwischen häufen sich die Veröffentlichungen über Unterernährung in Nicaragua und zeigen das erschreckende Ausmaß auf. Der folgende Text ist die leicht gekürzte Fassung eines Artikels aus der Tageszeitung El Nuevo Diario.
30 Prozent der nicaraguanischen Kinder unter 5 Jahren sind gefangen in einem Teufelskreis von Unterernährung. Schuld daran ist vor allem das Fehlen einer verantwortlichen Politik, welche eine angemessene Entwicklung dieser Bevölkerungsgruppe fördert, so die Ernährungswissenschaftlerin Denise Van Nissen von der Organisation Casa Soynica. In der Folge ist ein kontinuierliches Anwachsen der Zahl unterernährter Kinder unter 5 Jahren zu beobachten. Landesweit sind schätzungsweise 500.000 Kinder von einem erheblichen Mangel an Eisen, Vitamin A, Proteinen und ausreichend Kalorien betroffen. Dabei wird der Mangel an Eisen nicht wie allgemein angenommen durch die tägliche Mahlzeit schwarzer Bohnen kompensiert, wie Van Dammen ausdrücklich betont. Bohnen enthalten den Gerbstoff Tannin, welcher beim kindlichen Organismus das Eisen absorbiert. Auch in Kaffee und den viel getrunkenen Softdrinks ist Tannin enthalten und verhindert zusätzlich die Verwertung des Minerals. Zwar könnte dem Mangel von Eisen durch den vermehrten Verzehr von Fleisch begegnet werden, aber aufgrund der hohen Preise ist dieses in der Regel nicht auf den Tischen der meisten Familien zu finden. Und das Vitamin A ist zwar reichlich in Gemüse und Obst verfügbar, aber ausgerechnet dieses ist kaum auf der nicaraguanischen Speisekarte zu finden.
Die mangelhafte Aufnahme von Eisen ist der häufigste Grund von Anämie, die zu Verlusten an Energie, zu allgemeiner Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten führt, was schwerwiegende Auswirkungen auf den Vorschulunterricht der Kinder unter 5 Jahren hat. Hier entwickelt sich ein schweres nationales Problem, indem eine ganze zukünftige Generation betroffen ist, deren intellektuelle Entwickeln stark beeinträchtigt wird. Die Unterernährung behindert eine normale Entwicklung des Gehirns in den ersten 3 Lebensjahren, und es besteht ein Teufelskreis aus Unterernährung und Armut, in dem die Mütter wie ihre Kinder gleichermaßen gefangen sind.
Am schlimmsten ist die Mangelsituation in den Trockenzonen des Landes, wo die campesinos immer wieder ihre Ernte aufgrund der ausbleibenden oder extremen Regenzeit verlieren. Diese sind auch die Regionen, die auf der Armutskarte Nicaraguas als Regionen mit extremer Armut ausgewiesen werden. Die Unterernährung der Kinder beginnt mit der Unterernährung der Schwangeren, so dass die Neugeborenen von Anfang an mit einem höheren Risiko leben, für chronische Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herzprobleme anfällig zu sein. Vor allem aber besteht die Gefahr einer reduzierten intellektuellen und körperlichen Entwicklung. Die Wissenschaftlerin betont aber, dass diese Entwicklung aufgehalten werden könnte und auch in Nicaragua gesunde und normalgewichtige Kinder zur Welt kämen, wenn den schwangeren Frauen Nicaraguas unter ernährungswissenschaftlichen Gesichtspunkten mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde. Soynica wird deshalb mit armen Familien in Trockenzonen Programme zur Ernährungssicherheit durchführen.
Aus: El Nuevo Diario, 01.03.2005