20 Jahre und kein bisschen müde
Berlins älteste Nord-Süd-Partnerschaft feiert - zu Recht
Dass Kreuzberger schon immer ein wenig renitent waren, dürfte bekannt sein. Und eine gewisse Renitenz war auch eine Ursache dafür, den "Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg - San Rafael del Sur e.V." zu gründen. Die Anfänge des Vereins gehen in das Jahr 1984 zurück, als erste Kontakte zu dem rund 400 km? großen nicaraguanischen Landkreis San Rafael del Sur aufgenommen wurden, um eine Städtepartnerschaft des Berliner Bezirks mit diesem "Municipio" anzustreben (zu der es 1986 auch tatsächlich kam).
Wir erinnern uns: Kreuzberg wurde damals von einem Bürgermeister der CDU regiert - und die CDU auf Bundesebene hatte dem revolutionären mittelamerikanischen Land kurz nach Übernahme der Regierungsgeschäfte in Bonn (1982) viele Millionen an Entwicklungshilfe gestrichen. Kreuzberg lag im US-amerikanischen Sektor West-Berlins - und die USA unterstützten mit Millionen Dollars und logistischer Hilfe den Krieg der Contras gegen die 1979 siegreiche "Revolution der Liebe" der Sandinisten über die mehr als 40-jährige, blutige Diktatur des Somoza-Clans.
Mit seiner Arbeit wollte der Verein, wie viele andere Gruppen in dieser Zeit, ein Zeichen gegen diese Politik setzen, die die Sandinisten als Kommunisten verunglimpfte, und eine Gegenöffentlichkeit schaffen. Gleichzeitig sollten die in Nicaragua von der Revolution in Gang gesetzten Prozesse zugunsten der Ärmsten der Bevölkerung aktiv unterstützt werden.
2004 zieht der Verein (Zwischen-)Bilanz: Was wurde erreicht, was ist gescheitert, was bleibt zu tun?
Erreicht wurde, dass Hunderte Kreuzbergerinnen und Kreuzberger, auch Menschen aus ganz Deutschland und sogar aus anderen europäischen Ländern inzwischen in San Rafael del Sur waren, um in freiwilliger Arbeit Projekte zu unterstützen, die der Verein mit der Bevölkerung unternahm, um deren katastrophale Lebensbedingungen zu verbessern. Erreicht wurde, dass in einer enormen Zahl an Einzelmaßnahmen praktisch alle rund 48.000 Menschen von San Rafael del Sur in irgendeiner Form von Projekten des Vereins profitiert haben: Gut 3 Millionen Euro aus Spenden und Fördermitteln hat der Verein in Bildungs-, Gesundheits- und Landwirtschaftsprojekte investiert, in die Versorgung mit Trinkwasser, in Wiederaufforstung und Ressourcenschutz und, vor allem, in eine nachhaltige Armutsbekämpfung.
Mit seiner Öffentlichkeitsarbeit hat der Verein erreicht, dass viele Menschen seine Arbeit unterstützen, sei es durch Sach- und Geldspenden, sei es durch aktive Mitgliedschaft. Und seine Arbeit wird auch von bezirklicher Seite aktiver denn je unterstützt: Alle in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg vertretenen Parteien (inklusive der CDU) anerkennen, dass die entwicklungspolitische Zusammenarbeit, die der Verein initiiert und mit aktivem Leben erfüllt hat, sinnvoll und notwendig ist. Und dass die städtepartnerschaftliche Beziehung keine Einbahnstraße ist, denn auch wir in der ersten der durchnummerierten Welten können durchaus von der Dritten lernen. Zu dieser Erkenntnis haben vor allem persönliche Begegnungen beigetragen.
Die so hoffnungsvoll gestartete Sandinistische Volksrevolution, die sich damals weltweit Sympathien erwarb, ist 1990 in freien Wahlen (!) gescheitert. Vor allem, aber nicht nur an der militärischen Intervention der Supermacht des Nordens, sondern auch an internen Fehlern wie Misswirtschaft und persönlichem Machtstreben einzelner Revolutionäre. Im Alltag der Menschen ist aber viel von ihr geblieben: das Vertrauen in die eigene Kraft, das Selbstbewusstsein, dass die Verhältnisse veränderbar sind - im Politischen wie im Persönlichen. In diesem wachsenden Selbstbewusstsein, in diesem Vertrauen der Menschen, dass Schritt für Schritt Elend und Armut überwunden werden können, liegt für den Verein der Ansatz für eine erfolgreiche Fortsetzung seiner Arbeit. Denn viel bleibt zu tun in diesem Municipio im Westen des zweitärmsten Landes Lateinamerikas.
Aus einer kleinen, zornigen Initiative ist eine langfristig und nachhaltig arbeitende entwicklungspolitische Organisation geworden, die für viele andere in der Bundesrepublik Deutschland durchaus Vorbildcharakter besitzt. Und daran soll sich - das ist erklärter Wille des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg - San Rafael del Sur - auch in Zukunft nichts ändern. Gemeinsam mit den Menschen in Nicaragua, den dortigen Partnerorganisationen und den hiesigen Unterstützern wird es weiter vorangehen im Kampf gegen Armut und Unterentwicklung dort und um Köpfe und Herzen hier.
Tilo Ballien