Wir machen einfach weiter!
Eigentlich ist die Arbeit der CEDRU-MitarbeiterInnen mit dem formalen Ende eines Projekts ebenfalls beendet. Das Team müsste sich dann neuen Aufgaben zuwenden, das nächste geförderte Projekt in Angriff nehmen. Esmeralda, die im PRODISA-Projekt für die Komponente der Kleintierhaltung verantwortlich war, beschreibt, warum das nicht so ist.
Liebe/r Atabal-Leser/in,
ich bin Fachkraft im Zentrum für ländliche Entwicklung in San Rafael in unserem wunderschönen Land Nicaragua. Als eine der Hauptamtlichen von CEDRU, dessen zentrale Aufgabe die Förderung der ländlichen Region im "Municipio" ist, habe ich viele Erfahrungen sammeln können, sowohl gute als auch schlechte Erfahrungen, wie es wohl bei jeder Arbeit der Fall ist.
Vor ca. vier Jahren begann ich mit meiner Arbeit im "Municipio" San Rafael. Anfangs dachte ich, dass es nicht schwer wäre, mit Kleinbauern zu arbeiten, da ich bereits zwei kleine Projekte geplant und betreut hatte, die mit Kleinvieh, besonders Hühnern und Schweinen zu tun hatten, in denen das tägliche Zusammenleben mit den Kleinbauern aber kaum eine Rolle spielte. Daher hatte ich keine Ahnung von der Eigensinnigkeit, den Bräuchen und Denkweisen der Bevölkerung in dieser Region. Aber indem ich durch die Organisation CEDRU jede einzelne Gemeinde und die dort arbeitenden Menschen kennen lernte, veränderte sich mein Bild drastisch.
Bereits auf den Weg in die Gemeinden wurde mir bewusst, wie groß der von uns zu leistende Arbeitseinsatz sein würde. Das erste, was mir auffiel, waren die schlechten Zufahrtswege. Eine ernste Angelegenheit, denn es schien als würden wir in ein russisches Gebirge fahren. Die Wege sind aus Sand und da es keine Ablaufrinnen für das Regenwasser gibt, hinterlässt es große Löcher auf den Wegen. Daher konnte es passieren, dass wir in unseren Fahrzeugen, meist Autos oder Motorrädern, immer wieder so heftig in die Höhe geschleudert wurden, dass ich mich jeweils für einen Moment schon im Himmel glaubte . Dies war leider kein Spiel, sondern die harte Realität. Abgesehen von dem Staub im Sommer, der ein schnelles Fahren eigentlich verbietet, will man nicht die Fußgänger im Staub baden.
Als wir schließlich in die Gemeinden gelangten, fielen mir zuerst die Kinder auf, die barfuß und halbnackt umher rannten und sich unbändig über den Besuch im Auto freuten. Im Hintergrund ab und zu mal eine Mutter, die ängstlich dazukam, um zu schauen, dass ihrem Kind nichts zustößt. Beim genauen Betrachten stellte ich fest, dass diese Kinder das Alter von Schulkindern hatten. Was machten sie auf der Straße? Sollten sie nicht in der Schule sein? Sicher, aber diese Kinder nahmen nicht am Unterricht teil, da den Eltern die finanziellen Mittel fehlten, um ihnen eine Schulbildung zu ermöglichen. Die Schulbildung der Familien der Kleinbauern reicht mit Mühe bis zur dritten Grundschulklasse. Und die wenigen Kinder, die eine weiterführende Schule abschließen, haben kaum Möglichkeiten eine technische oder universitäre Ausbildung zu absolvieren.
Im direkten Kontakt mit den Familien bekam ich Einblick in ihre Unterkünfte, wenn man das, was sie selbst als Haus oder Zuhause bezeichnen, so nennen kann. Das Baumaterial, aus dem die Häuser entstanden sind, ist sehr unterschiedlich, Karton, Plastik, Rundhölzer, Pappe, Bretter u.a. Einmal sah ich ein Haus aus Stroh und dachte, was für ein schöner Hühnerstall, doch in Wirklichkeit war es ein Wohnhaus und dazu noch eines der besseren. Da erst wurde mir die enorme Armut dieser Menschen bewusst.
Gar nicht erst zu sprechen vom täglichen Lebensunterhalt, dem Essen. Manchmal wurde uns ein Frühstück angeboten, wenn es die Situation der Menschen erlaubte, und es war richtig lecker! Bohnen und gebratene Tortillas ähnlich den Tortillas, die man in San Rafael macht, aus einem guten Maismehl. Das Essen schmeckte gut, aber die Vorstellung, jeden Tag so ein Frühstück zu bekommen, stimmte mich wieder traurig. Mit der Zunahme des Vertrauens nahmen auch die Gespräche mit den Kleinbauern über Nahrungsmittel und eine abwechslungsreiche Ernährung für ihre Kinder zu. Sie erzählten uns, dass es nach einer guten Ernte etwas mehr Abwechslung gäbe, da sie dann Käse oder Rindfleisch kaufen könnten. Wenn sie viel Federvieh haben, dann gibt es auch Hühnerfleisch. An Brot und Kaffee fehle es dagegen zu keiner Mahlzeit. Fällt die Getreideernte aber schlecht aus, dann verschlechtert sich die Lebenssituation beträchtlich.
In einigen Gemeinden ist die Trinkwasserversorgung sehr angespannt. Es gibt Gemeinden, in denen das lebenswichtige Wasser nur zwei Mal die Woche für vier bis sechs Stunden am Tag verfügbar ist. Die Menschen dort haben große Wasserprobleme, vor allem in den Sommermonaten, in denen die Trinkwasserversorgung noch prekärer ist als ohnehin. Wenn wir die Dorfbewohner in ihren Häusern besuchten, haben wir einige Male darauf verzichtet, nach Wasser zu fragen, da uns bewusst war, dass ihnen jedes an uns verschenkte Glas Wasser am nächsten Tag für ihre Kinder fehlen würde.
Das tägliche Zusammenleben mit den Kleinbauern hat uns eindrücklich bewusst gemacht, wie wichtig unsere Arbeit hier auf dem Land ist. Außerdem führte der enge Kontakt im Laufe der Zeit dazu, dass wir mit großer Hingabe und Zuneigung für diese Menschen arbeiteten und uns verpflichtet fühlten, unsere Arbeit zugunsten eines menschlicheren Lebens in diesen Dörfern fortzusetzen.
Aus allen diesen Gründen haben das Zentrum für ländliche Entwicklung und der Verein in Berlin Kreuzberg begonnen, mit finanziellen Initiativen die Entwicklung des Einzelnen und der Gemeinde von San Rafael del Sur voranzubringen. Diese Unterstützungen bestanden aus Krediten in Form von revolvierenden Fonds für die Produktion von Getreide, Gemüse, Kleinvieh (Hühner, Schweine, Ziegen und Schafe) und in der Wiederaufforstung. Gestellt wurde ebenfalls das Saatgut für die Getreidesaat wie Mais oder Bohnen und die Nutzung des Kleinviehs, die Produktion und die Vermarktung der Produkte auf dem Markt von San Rafael. Außerdem wurde die schulische und die Erwachsenenbildung gefördert, der Aufbau und die Erweiterung von Schulen ermöglicht, Gesundheitszentren eingerichtet und ausgestattet, Gemeindebrunnen und Trinkwasserversorgungsnetze installiert, um so die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde weiter zu entwickeln.
Wir haben in den vergangenen Jahren sehr gut verfolgen können, wie sich die Situation der Menschen in den Dörfern mit der Zeit durch die PRODISA-Maßnahmen verbessert hat. Tausende von Bewohnern der kleinen Dörfer konnten dazu ermutigt werden, selber ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und mit der Unterstützung von CEDRU günstigere Vorraussetzungen zu schaffen, die ein Überleben auch in Krisenzeiten ermöglichen. Aber auch nach Abschluss des Projektes bleibt viel zu tun. Wir wollen diese Arbeit auf jeden Fall weiterführen, da uns bewusst geworden ist, wie wichtig diese Arbeit mit den Gemeinden ist. Und hat man ein solches Bewusstsein erst einmal erlangt, lässt es sich nicht mehr so einfach löschen.