Stellungnahmen

Berlin, 23.08.2022

Aktuelle politische Lage und Auswirkung auf unsere Projektarbeit

Schon über vier Jahre ist es her, dass im April 2018 die Aufstände gegen das Ortega/Murillo Regime begannen. Auslöser war eine angekündigte „Reform“ der Sozialversicherung, die eine Kürzung der Krankenversicherungsleistung und Erhöhung von Rentenversicherungsbeiträgen vorsah. Die Demonstrationen mündeten in der gewalttätigen Unterdrückung der Proteste. Die autoritäre Entwicklung zeichnete sich allerdings auch schon in den Jahren zuvor ab, beispielsweise in der Niederschlagung der Proteste gegen den interozeanischen Kanalbau 2015. Da sich die politische Repression und Unterdrückung der Zivilgesellschaft spätestes seit 2018 immer mehr zuspitzt und immer mehr Organisationen verboten werden, sehen wir mittlerweile auch die Zusammenarbeit in unserer Partnerregion als stark gefährdet an.

Die Nationalversammlung hat auf Antrag der Regierung seit 2018 insgesamt 1058 NGOs, Universitäten oder anderen Bildungseinrichtungen die juristische Person entzogen und ihr Vermögen teilweise eingezogen. Konkret bedeutet dies, dass seit November 2018 eine Vielzahl von Organisationen, die unter anderem in den Bereichen Menschen- und Frauenrechte, Bildung, Umweltschutz, Entwicklungszusammenarbeit und Soziale Arbeit tätig waren, verboten wurden. Dazu zählen auch bekannte internationale Organisationen wie EIRENE und Medico International. Durch den Entzug der Rechtspersönlichkeit stehen auch Universitäten und Bildungseinrichtungen unter staatlicher Kontrolle, wodurch deren akademische Freiheit untergraben ist.

 

Der UN-Menschenrechtsrat gibt an, dass aktuell 173 politische Gefangene unter oftmals menschenrechtswidrigen Bedingungen inhaftiert werden. Viele von ihnen wurden ohne ordnungsmäßiges Verfahren verfolgt und verurteilt. Angehörige der Gefangenen geben an, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln innerhalb der Gefängnisse nicht gewährleistet sei. Sie berichten außerdem von Misshandlungen und Folter. Laut der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist davon auszugehen, dass seit 2018 im Zuge der politischen und menschenrechtlichen Krise, 350 Menschen gestorben sind. Die OAS zählt außerdem 170 000 Exilierte, wobei der Großteil von ca. 150 000 Menschen ins benachbarte Costa Rica geflohen ist. Außenpolitisch isoliert sich das Regime Ortega/Murillo zunehmend und ist am 25.04.2022 aus der OAS ausgetreten.

 

Diese hier nur kurz umschriebene autoritäre Entwicklung wirkt sich auch ganz konkret auf die Städtepartnerschaft zwischen Kreuzberg und San Rafael del Sur aus. Um die aktuellen politischen Strukturen nicht zu stärken oder zu legitimieren, wurde die kommunale Projektarbeit zwischen dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und dem Bürgermeisteramt in San Rafael del Sur eingestellt. Auch auf Nichtregierungsebene ist die Zusammenarbeit zwischen unserem Verein und unserer Partnerorganisation CEDRU zunehmend durch Herausforderungen gekennzeichnet. In den letzten Jahren hat die nicaraguanische Regierung mehrere Gesetze zur Regulierung und Kontrolle gemeinnütziger Organisationen erlassen. NGOs, die für ihre Projekte Gelder aus dem Ausland erhalten, müssen sich als Ausländische Agenten registrieren. Dies ist ein langer bürokratischer Prozess und es ist uns - als eine von wenigen NGOs - gelungen, diesen erfolgreich abzuschließen. Jeder Geldtransfer bedarf der vorherigen kostenpflichtigen Genehmigung der Regierung, die schriftlich erteilt wird. Hinzu kommt, dass es sehr schwierig geworden ist, an die sogenannte Constancia zu kommen, ein Dokument, welches Organisationen legitimiert, legal ihre Projektarbeit durchführen zu dürfen. Früher fand die Beantragung der Constancia alle ein bis drei Jahre statt. Heute wird sie nur noch für ein bis drei Monate ausgestellt. Durch die erlassenen Gesetze ist es Organisationen verboten, sich an politischen Aktivitäten zu beteiligen. Auch unsere politische Vereinsarbeit in Deutschland wird hierbei zur Kenntnis genommen und kann sich auf die Projektgenehmigung und -durchführung in unserer Partnergemeinde auswirken. Durch die Willkür, mit der die Regierung über Legalität und Illegalität von Organisationen entscheidet, besteht jederzeit die reale Gefahr, dass uns der Status als juristische Person entzogen wird. Das willkürliche und intransparente Vorgehen der nicaraguanischen Regierung hat bei uns (sowie bei den allermeisten NGOs) zu einer großen Planungsunsicherheit geführt. Daher entschieden wir uns vorerst dagegen, neue Projekte beim BMZ oder der LEZ zu beantragen. Dass unter den aktuellen Bedingungen keine weitreichende Projektplanung mehr möglich ist, stellt insbesondere unsere Partnerorganisation CEDRU vor existenzielle Herausforderungen.

 

Neben diesen hier beschriebenen praktischen Einschränkungen in der Projektarbeit stehen wir als Verein natürlich auch immer wieder vor der grundlegenden Entscheidung, ob und wie die Zusammenarbeit mit unserer Partnergemeinde vor dem Hintergrund der politischen Situation in Nicaragua überhaupt weitergeführt werden sollte. Diese Grundsatzfrage diskutieren wir regelmäßig in unserem Vorstand, mit unserer Mitgliedschaft und stehen diesbezüglich auch in engem Austausch mit anderen Organisationen.
 

Quellen:

https://confidencial.com.ni [UN-Bericht über die Menschenrechte in Nicaragua]

https://infobuero-nicaragua.org/ [Informationsbüro Nicaragua e.V.]

https://blickpunkt-lateinamerika.de/ [Referenz zu OAS]

https://100noticias.com.ni/politica/116693-diputados-cancelan-ong-nicaragua/ [Aktuelle Zahl verbotener Organisationen]

 


 

Berlin, 05.12.2018

Freiheit für die politischen Gefangenen in Nicaragua - Aufruf Berliner Organisationen zum Tag der Menschenrechte

In Nicaragua protestieren seit April 2018 große Teile der Bevölkerung gegen die Regierung des Präsidenten Daniel Ortega. Er und seine Ehefrau Rosario Murillo, die seit Januar 2017 auch Vizepräsidentin ist, beantworten die Proteste seit Beginn mit brutaler Gewalt, die kaum jemand für möglich gehalten hat.Der Staat mordet, inhaftiert, verfolgt.

 

Mehrere hundert Menschen wurden getötet, Tausende verletzt, Hunderte wurden entführt, inhaftiert oder bleiben verschwunden. Zehntausende wurden ins Exil getrieben. Die Protestbewegung wird von der Regierung unter Rückgriff auf ein im Juli 2018 eigens beschlossenes „Antiterrorgesetz“ kriminalisiert. Inzwischen werden Demonstrationen gegen die Regierung gar nicht mehr zugelassen. Gegenwärtig befinden sich in den Gefängnissen mindestens 552 politische Gefangene, darunter 56 Frauen. Viele der Inhaftierten wurden unter absurden Anschuldigungen und mithilfe gekaufter Zeugen zu langjährigen Freiheitstrafen verurteilt. In der Haft sind sie teils grausamen und entwü­rdigenden Behandlungen ausgesetzt. Viele wurden gefoltert und sexueller Gewalt unterworfen. Familienangehörigen wird vielfach der Kontakt verweigert.

 

Nicaraguanische und internationale Menschenrechts­organisationen klagen die Regierung seit Monaten schwerster Menschenrechtsverletzungen an. Wir fordern die nicaraguanische Regierung auf

  • einen ernstgemeinten politischen Dialog und die Suche nach einer politischen Lösung sofort aufzunehmen.
  • die politischen Gefangenen sofort freizulassen und die Paramilitärs zu entwaffnen.
  • eine Internationale Untersuchung aller seit April begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverstöße (egal von welcher Seite) zuzulassen. Die dafür Verantwort­lichen müssen von unabhängigen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden.
  • Wir fordern die deutsche Bundesregierung, den Berliner Senat, die Parteien, die Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft auf, sich für die Verhafteten, die intern Vertriebenen und für die Exilierten einzusetzen.

 

es rufen auf

  • Arbeitskreis Internationalismus, IG Metall Berlin
  • Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL)
  • Grupo por la Vida, la Paz y la Democracia en Nicaragua, Berlin
  • INKOTA-netzwerk e.V.
  • Nicaragua-Solidarität Berlin
  • SOS Nicaragua-Berlin
  • Städtepartnerschaft Kreuzberg – San Rafael del Sur e.V.

 

 


 

Berlin, 19.06.2018

Stellungnahme des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg-San Rafael del Sur e.V. zur aktuellen Situation in Nicaragua.

Wir, der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg-San Rafael del Sur e.V. (StäPa) sind seit den 80er Jahren solidarisch mit der nicaraguanischen Bevölkerung und der sandinistischen Revolution verbunden.

 

Mit großer Sorge beobachten wir die jüngsten Entwicklungen im Land, die ihren Anfang am 18. April 2018 nahmen. An diesem Tag gab es in verschiedenen Städten Nicaraguas friedliche Proteste gegen die intransparente und per Dekret verordnete Reform der Nicaraguanischen Sozial- und Rentenversicherung des INSS, welche gewaltsam durch regierungsnahe Schlägertrupps und die Nationale Polizei niedergeschlagen wurden (für Hintergründe zur INSS Reform s. Atabal Nr. 91, S. 8). Außerdem wurden oppositionelle Medien zensiert. Regierungsvertreter bezeichneten die Protestierenden als „Verbrecher“. Die Reform wurde wenige Tage später zurückgenommen.

 

Als Reaktion auf die staatliche Repression und in Konsequenz ähnlicher repressiver Vorfälle in den letzten Jahren gab und gibt es seit diesem Tag fast täglich Demonstrationen gegen die Regierung. Dabei wurden die Protestierenden zunächst mit Gummigeschossen und nach wenigen Tagen mit scharfen Waffen beschossen. Die Polizei agiert gemeinsam mit den zivilen Schlägertrupps, sowie schwer bewaffneten Gruppen, welche seit einigen Wochen Angst und Schrecken auf den Straßen verbreiten.

 

Die Proteste werden organisiert von politisch nicht gebundenen Studierendenbewegungen und weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppierungen wie der Anti-Kanal Bewegung, der organisierten Bauernschaft, feministischen Gruppen und Teilen des Privatsektors, die gemeinsame Forderungen stellen. Unter Vermittlung der nicaraguanischen Bischofskonferenz wurde am 16. Mai ein nationaler Dialog mit Vertreter*innen der Regierung aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits über 60 Tote. Die Regierungsseite war nicht gewillt, die zivilen Opfer anzuerkennen und die Repression zu stoppen. Dies führte zum Abbruch des Dialogs und zur Errichtung von weiteren Straßensperren.

 

Die repressiven Maßnahmen nahmen weiter zu und forderten bis zum 19. Juni 2018 mindestens 170 Todesopfer, mehrere hundert Verletzte und Verhaftete, sowie dutzende Verschwundene. Die Protestierenden fordern den Stopp der Repression, Gerechtigkeit für die Opfer und eine Demokratisierung des Landes durch den Rücktritt der Regierung Ortega Murillo, die Erneuerung des Wahlsystems und vorgezogene Neuwahlen auf allen Ebenen.

 

In diesem historischen Moment erklären wir unsere Solidarität mit den Menschen Nicaraguas und fordern die bestehende Regierung auf, fundamentale Menschenrechte zu respektieren. Wir wissen um die Kraft der nicaraguanischen Bevölkerung und erkennen die Erfolge an, welche in den vergangenen 40 Jahren erreicht wurden. Das aktuelle Vorgehen der Regierung ist jedoch mit den sandinistischen Idealen nicht vereinbar.

 

Daher verurteilen wir die Repression und Gewalt seitens der Regierung auf das Schärfste!

  • Wir verurteilen den Einsatz von Schusswaffen seitens der Nationalen Polizei, der Bereitschaftspolizei und der schwer bewaffneten Gruppen gegen die protestierende Bevölkerung.

  • Wir verurteilen die über 170 gewaltsamen Todesfälle, sowie die in den Gefängnissen eingesetzte Folter gegen die politischen Gefangenen.

  • Wir verurteilen den sexuellen Missbrauch, welcher von Überlebenden der willkürlichen Verhaftungen berichtet wird.

Wir verurteilen die Zensur und Manipulation von Medien als auch die Angriffe auf Pressevertreter*innen.

 

Aus diesen Gründen fordern wir, als zivilgesellschaftliche Gruppe, die seit über 30 Jahren eng mit der nicaraguanischen Bevölkerung verbunden ist:

  • Den sofortigen Stopp jeglicher Form der Repression gegen die Protestierenden, sowie die uneingeschränkte Wahrung und den Schutz der Menschenrechte, vor allem des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

  • Die Freilassung aller politischer Gefangenen, sowie die lebendige Rückkehr der Verschwundenen zu ihren Familien.

  • Die Gründung eines internationalen und unabhängigen Mechanismus zur Aufklärung der Gewalttaten während der Proteste, sowie die Verurteilung und Bestrafung aller Verantwortlichen.

  • Die Auflösung der schwer bewaffneten Gruppen.

  • Garantien, dass die Bürger*innen, die öffentlich ihre Unzufriedenheit mit der Regierung

    ausgedrückt haben und ausdrücken, keine Opfer von weiteren Repressionen werden.

  • Die uneingeschränkte Achtung der Pressefreiheit.

  • Die Beendigung und Lösung der Konflikte mit friedlichen Mitteln und die unbedingte Vermeidung eines Bürgerkriegs oder eines bewaffneten oder anhaltenden Konfliktes.

 

Wir hoffen, dass der am 15. Juni 2018 wieder aufgenommene Nationaldialog eine Grundlage für die Lösung des Konflikts bieten kann. In Anbetracht der Situation sieht der Verein seinen Auftrag darin, sich weiterhin mit der nicaraguanischen Bevölkerung in ihrem Einsatz für Gerechtigkeit und Demokratisierung zu solidarisieren, über die Situation in Nicaragua zu informieren und mit relevanten Akteuren in Deutschland und Nicaragua zusammenzuarbeiten.

 

Der Vorstand
Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg - San Rafael del Sur e.V.