Brigadebericht 2002

Seit seiner Gründung schickt der Verein jährlich Brigaden Freiwilliger nach San Rafael del Sur, die sich ganz konkret an einem der laufenden Projekte beteiligen, traditionellerweise am Bau einer Schule in einer der 58 Landgemeinden. Unter Anleitung ausgebildeter nicaraguanischer Maurer bauen sie mit Hilfe der Bevölkerung ein oder zwei Schulräume. In dieser Zeit leben sie in verschiedenen Familien der Dörfer, teilen deren Leben, und informieren sich darüber hinaus in vielfältiger Weise über weitere Projekte des Vereins, aber auch über allgemeine politische, soziale und wirtschaftliche Probleme Nicaraguas.

 

Wie effektiv diese Auseinandersetzung geführt wird, hängt natürlich ein wenig vom Engagement der jeweils beteiligten Brigadist(inn)en ab. Grundsätzlich aber wird auf Vereinsebene von Jahr zu Jahr neu diskutiert, wie sinnvoll Brigaden heute noch für die Vereinsarbeit sind, und ob das Konzept der letzten Jahre, das eine gleichmäßige Gewichtung von Hand- und Kopfarbeit beinhaltet, noch zeitgemäß sei. Nach Nicaragua ist vor Nicaragua
 

Einige Gedanken zum diesjährigen Brigadeaufenthalt

Um es vorneweg zu sagen: Für mich war der diesjährige Brigadeaufenthalt sehr lehrreich und bereichernd, ich habe viel gesehen und bin von der Arbeit des Vereins hier und in Nicaragua nachhaltig beeindruckt. Die Teilnahme an einer Arbeitsbrigade ermöglicht, Land und Leute in einer einzigartigen Art und Weise kennen zu lernen. Dazu gehören sowohl die Unterbringung in der dörflichen Gemeinschaft wie auch die Projektbesichtigungen, die zahlreichen Gespräche vor Ort und natürlich auch das Gefühl, an einem konkreten Bauprojekt beteiligt gewesen zu sein. Nicaragua ist als Land ungewöhnlich schön und vielfältig und die Leute strahlen eine besondere Freundlichkeit und Warmherzigkeit aus.

Brigaden dienen aber nach meinem Verständnis auch dazu, das Leben dort mit unserem in Beziehung zu setzen, den Eine-Welt-Gedanken umzusetzen, die Nord-Südproblematik zu verstehen und letztlich auch, sich dafür einzusetzen und zu engagieren, diese unsere Welt gerechter zu gestalten.

 

Diese Ansprüche umzusetzen, ist sicherlich nicht immer einfach, weil es gerade bei Brigaden die unterschiedlichsten persönlichen Voraussetzungen und Motivationen zur Teilnahme gibt. In der Regel kennen sich die Brigadist(inn)en nur aus den Vorbereitungstreffen, und wie dann vor Ort das tatsächliche Zusammenleben und der Umgang mit der konkreten Situation aussieht, ist noch etwas ganz anderes. Dass ein Zusammenleben unter zum Teil extremen Bedingungen immer schwierig ist, sollte nicht davon ablenken, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir in Zukunft die Vorbereitung und Durchführung der Brigaden verbessern können.

 

Meiner Ansicht nach wäre es hilfreich, wenn schon in der Vorbereitungsphase stärker inhaltlich gearbeitet und eben vorbereitet würde. Warum sollten die Teilnehmer nicht auch selbst Beiträge vorbereiten (Was hat denn nun der IWF mit der aktuellen Situation in Nicaragua zu tun?) und sich so ein Verständnis für das Land erarbeiten, es in der Gruppe vermitteln und diskutieren und dieses dann auch vor Ort selbst zur Disposition stellen, überprüfen, ggf. korrigieren, d.h. letztlich einen Prozess der Reflexion über unsere Welt in Gang setzen und am Leben erhalten.

 

Dieser Teil der gemeinsamen Diskussion und des gemeinsamen Erarbeitens kam mir persönlich in Berlin und in Nicaragua ein wenig zu kurz. Das hat nichts mit Hannah als Brigadeleiterin und schon gar nicht mit Franz, unserem Koordinator vor Ort, und dem CEDRU-Team zu tun. Sie haben uns phantastisch empfangen, aufgenommen und waren immer aufgeschlossen, ansprechbar und für alles offen. Vielleicht ist es an der Zeit, konzeptionell neue Wege zu beschreiten. Wir müssen uns fragen, wie Brigaden unter sich verändernden Bedingungen zukünftig aussehen können und sollen, wie das Bewährte mit Neuem zusammen kommen kann.

 

Ist es noch zeitgemäß, wenn die in aller Regel hochqualifizierten und auch hochmotivierten Brigadist(inn)en sich auf einem Gebiet einbringen, das sie gar nicht wirklich beherrschen (wer kann denn heute noch ein Haus bauen), hingegen ihr eigentliches Potenzial, ihr fachliches Wissen ungenutzt bleibt, und ihr Wissensdurst nicht gestillt wird? Warum machen wir nicht gerade das zum Teil unseres Programms? Für mich ergibt sich eine einmalige Chance, theoretische und praktische Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit in einen unmittelbaren Kontext zu stellen, einen Raum zum gemeinsamen Erkennen und Verstehen und der praktischen Umsetzung zu geben. In gemeinsamen Gesprächen und Diskussionen mit den Menschen dort nach Möglichkeiten der Verbesserung der Lebensbedingungen zu suchen.
 

Dieses Jahr wurde z.B. in San Rafael ein Bauermarkt veranstaltet, bei dessen Durchführung die Brigade mithalf. Obwohl Franz uns mehrmals im Vorfeld auf dieses Ereignis hinwies, waren wir, auch aus zeitlichen Gründen, nicht in der Lage, dieses wirklich mit vorzubereiten, uns mit der Problematik der Direktvermarktung auseinander zu setzen, oder mit den betroffenen Familien über ihre Hoffnungen und Wünsche zu sprechen.

 

Für zukünftige Brigaden könnten gerade solche Projekte beispielhaft sein, andere Formen der praktischen Zusammenarbeit durchzuführen. In überschaubaren Zeiten ein Projekt zu realisieren, das einer spezifischen Vorbereitung und Auseinandersetzung bedarf, wo Fachwissen mit konkreten Aktionen zusammen kommt. Das Primat, dass die Menschen in Nicaragua die Vorgaben und Randbedingungen stellen, ist selbstverständlich und sollte in Zeiten der neuen Kommunikationsmittel auch kein wirkliches Problem sein. Vieles wird im Vorfeld abzusprechen sein und vieles wird dann konkret doch ganz anders sein. Aber um genau diesen Prozess der konkreten Realisierung geht es.

 

Ich kann mir schon vorstellen, und das soll auch kein Gegensatz zum Gesagten sein, dass es immer wieder der traditionellen Brigade bedarf, die bei sehr konkreten Bauprojekten hilft und ihre Arbeitskraft einbringt, einfach weil die materiellen Bedingungen in Nicaragua so schlecht sind, wie sie sind. Die praktizierte Solidarität ist eine große Motivation und so soll es auch bleiben. Brigadist(inn)en wollen zum Teil sehr bewusst in eine Region, die von Mangel und Not geprägt sind, wo die Menschen elementarster Rechte beraubt sind, wo der Kampf um das tägliche Trinkwasser und Essen eben ein solcher ist.

 

Das sollte uns aber nicht daran hindern, über neue Formen der Brigaden nachzudenken, auch um neue, jüngere Leute an die Entwicklungszusammenarbeit heranzuführen und in den Verein zu integrieren. Nochmals sei betont, die Brigadist(inn)en sind in der Regel hoch motiviert und -qualifiziert. Wir sollten das Potenzial nutzen und Strukturen schaffen, die eine kontinuierliche Weiterarbeit auch in Berlin ermöglichen.