Verlust der Glaubwürdigkeit: Rot-grüne Entwicklungspolitik auf dem Prüfstand

Wie in vielen politischen Aufgabenfeldern wurden auch im Bereich der Entwicklungspolitik viele Erwartungen an den Regierungswechsel geknüpft. Die rot-grüne Koalition beschloss die qualitative und quantitative Aufwertung der Entwicklungspolitik und ersetzte das traditionelle Verständnis von Entwicklungshilfe für arme Länder durch das innovative Konzept der globalen Strukturpolitik. In der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 waren eine Reihe von Forderungen der Nichtregierungsorganisationen wiederzufinden:
 

Entwicklungspolitik ist heute globale Strukturpolitik ... Sie orientiert sich u.a. an dem Leitbild einer globalen nachhaltigen Entwicklung.( ...) Die derzeitige Zersplitterung entwicklungspolitischer Aufgaben (...) in unterschiedliche Ressorts wird aufgehoben und im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) konzentriert. Das BMZ wird ... die Federführung in Fragen der EU-Entwicklungspolitik erhalten. Das BMZ wird Mitglied im Bundessicherheitsrat. Um dem international vereinbarten 0,7% Ziel näherzukommen, wird die Koalition den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes umkehren und vor allem die Verpflichtungsermächtigungen kontinuierlich maßvoll erhöhen. (...) Um das Bewußtsein für internationale Zusammenhänge zu stärken, legt die neue Bundesregierung ein besonderes Gewicht auf die entwicklungspolitische Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und wird deren Arbeit verstärkt fördern.

 

In seiner Regierungserklärung vom 11. November benannte Bundeskanzler Schröder die Entwicklungspolitik neben der Forschung und Bildung als „Zukunftsaufgabe“ und „Herausforderung des 21. Jahrhunderts“, der besonderes Gewicht zugemessen werden muss. Er kündigte eine deutsche Entschuldungsinitiative für die ärmsten Entwicklungsländer an und sagte zu, dass sich die Regierung international für einen umfassenden Schuldenerlass einsetzen werde.

Eineinhalb Jahre nach dem Regierungsantritt ist die Bilanz alles andere als positiv. Nur ansatzweise konnte die Aufwertung der Entwicklungspolitik institutionell abgesichert und die Zersplitterung in verschieden Ressorts aufgehoben werden. Zwar wurde die Rolle des BMZ in der europäischen Entwicklungspolitik gestärkt, das Auswärtige Amt ist aber weiterhin ein bedeutender Akteur in diesem Politikfeld. Daneben gibt es eine Reihe von entwicklungspolitischen Politikbereichen wie die humanitäre Hilfe, die Unterstützung von Demokratisierungsprozessen oder die Zuständigkeit für die UNICEF, die nicht dem BMZ unterstellt wurden, sondern nach wie vor beim Auswärtigen Amt oder anderen Ministerien angesiedelt bleiben. Die Neuausrichtung des BMZ auf globale Strukturpolitik scheint die Rivalitäten zwischen diesem Ressort und dem Auswärtigen Amt noch verstärkt zu haben, wie konkurrierende Aktivitäten etwa im Bereich der Konfliktprävention oder dem Dialog mit der Zivilgesellschaft zeigen. Das Gewicht des BMZ innerhalb des Kabinetts illustrieren auch die Entscheidungen des Bundessicherheitsrates: Zwar hat das BMZ dort einen Sitz erhalten, wurde aber bei Ablehnung von konkreten Rüstungsgeschäften in zahlreichen Fällen (wie z.B. der Lieferung von Testpanzern in die Türkei) von anderen Ministerien und dem Kanzler überstimmt.

Was das Volumen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit betrifft, konnte der Abwärtstrend entgegen der Aussagen der Koalitionsvereinbarung und trotz zusätzlicher Aufgaben des BMZ nicht umgekehrt werden. Im Gegenteil, bereits 1999 lag die tatsächlichen Ausgaben des BMZ (7,86 Mrd. DM) unter denen des Vorjahres (7,93 Mrd. DM), wenn die Einnahmen des BMZ aus dem Forderungsverkauf an die Kreditanstalt für Wiederaufbau berücksichtigt werden. Noch drastischer sind die Kürzungen für das Jahr 2000, in dem das BMZ weitere 674 Mio. DM einsparen muss. Mit einem Minus von 8,7 Prozent leistet das BMZ einen überproportionalen Beitrag zur Sparaktion des Finanzministers, da der gesamte Haushalt im Jahr 2000 nur um 1,5 Prozent sinkt. Auch in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2003 sind weitere jährliche Kürzungen vorgesehen, während der Bundeshaushalt insgesamt in diesen Jahren wieder kontinuierlich ansteigen soll. Damit bricht die rotgrüne Regierung nicht nur ihre Versprechen aus der Koalitionsvereinbarung und der Regierungserklärung von Schröder, das Entwicklungsbudget in Richtung der international vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes zu erhöhen, sie bewegt sich vielmehr rapide auf den historischen Tiefststand von 0,2 Prozent zu und damit auf die Position des Schlusslichtes in Europa.

Noch deutlicher wird der Widerspruch, wenn man sich anschaut, welche Bereiche besonders stark von den Kürzungen betroffen sind. Gerade die Titel für die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NRO) sollen überproportional gekürzt werden. So sollen die Mittel für Auslandsprojekte der NRO und der für mehrjährige Vorhaben relevanten Verpflichtungsermächtigungen in den nächsten drei Jahren um 26 Prozent, die Ausgaben für entwicklungspolitische Bildungsarbeit um 18 Prozent sinken (im Vergleich zum Baransatz von 1999).

 

Bei allem Verständnis für die sicherlich notwendigen Sparmaßnahmen, die Gewichtung zeigt welche Bedeutung Rotgrün der „Zukunftsaufgabe Entwicklungspolitik“ zumisst. Und nicht nur gegenüber der entwicklungspolitisch interessierten Öffentlichkeit in Deutschland, sondern auch gegenüber den internationalen Institutionen und insbesondere den Partnerländern im Süden werden damit die falschen Signale gesetzt.

In einem hat die Regierung jedoch Wort gehalten: Beim Weltwirtschaftsgipfel in Köln im Juni 1999 wurde auf Initiative der Bundesrepublik ein Schuldenerlass für 36 hochverschuldete arme Länder des Südens beschlossen. Aus Sicht der Bundesregierung ihr größter entwicklungspolitischer Erfolg, wie in allen Verlautbarungen verkündet wird. Leider wohl auch der einzige. Nichts desto trotz ein wichtiger erster Schritt, um zu einer Lösung der Schuldenkrise zu gelangen und um der Verhinderungspolitik der alten Regierung in Fragen der Entschuldung etwas entgegenzusetzen. Nicht zu vergessen ist jedoch, dass die Erlasse der Kölner Initiative nur etwa 3 Prozent der Auslandverschuldung der Entwicklungsländer ausmachen und dass weder für LLDC-Staaten (ärmste Entwicklungsländer) wie Bangladesch oder Haiti noch für hochverschuldete arme Länder wie Nigeria oder Ecuador eine Lösung in Sicht ist. Die Rolle des Vorreiters in der Schuldenfrage hat die Bundesregierung denn auch schnell wieder aufgegeben und hat Nachbesserungen der Kölner Initiative nur sehr zögerlich und als vorletzte der führenden Industrienationen aufgegriffen.

Auch die angekündigte strukturelle Reform der Entwicklungszusammenarbeit ist bisher nicht erkennbar. Noch ist der Anteil der bilateralen Entwicklungshilfe, der an für die deutsche Exportwirtschaft interessante Länder wie Ägypten, China oder Indien geht, größer als der Anteil der Hilfe, die den ärmsten Entwicklungsländern (LLDC) zugute kommt. Die beabsichtigte Konzentration auf Schwerpunktländer wird bei gleichzeitigen Haushaltskürzungen noch weniger Spielraum für die Unterstützung der ärmsten, jedoch politisch und wirtschaftlich auch am wenigsten interessanten Länder lassen. Folgerichtig fordert Manfred Kulessa, Sprecher der Memorandumgruppe, das BMZ solle „nicht auch noch am Reformwillen sparen“.

Die Hoffungen, die viele in die Entwicklungspolitik der rot-grünen Bundesregierung gesetzt haben, sind enttäuscht worden. Die Regierung hat ihre Glaubwürdigkeit verloren. Die Diskussion, ob das BMZ ganz aufgelöst werden soll, scheint erst einmal vom Tisch zu sein. Dennoch fragen sich manche entwicklungspolitisch Engagierte inzwischen, ob der Bereich Entwicklungspolitik nicht tatsächlich besser beim Auswärtigen Amt als im schwachen BMZ aufgehoben wäre.

 

StäPa

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