Brot für die Welt – aber die Wurst bleibt hier

Expertenkommission Staatsaufgabenkritik des Berliner Senats empfiehlt Abschaffung des Politikfelds Entwicklungszusammenarbeit
Der Berliner Senat hat den ehemaligen Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) beauftragt, sämtliche Bereiche des Senats daraufhin zu untersuchen, ob es sich bei allen Aufgaben tatsächlich um Staatsaufgaben handele. Bereiche, die nicht als Staatsaufgaben definiert werden, sollen aufgegeben und somit Mittel gespart werden. Der erste Teil dieses Gutachtens, das sich mit den Personalausgaben beschäftigt, wurde inzwischen veröffentlicht und ist im Internet unter der Adresse http://www.berlin.de/Land/SenFin/expertenkommission.pdf zu finden. Der zweite Teil, der die Sachausgaben untersuchen wird, war bei Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht.

Bezüglich der Entwicklungszusammenarbeit vertritt das Gutachten schlicht die Meinung: Einstellen der Berliner Entwicklungszusammenarbeit, Auflösung der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit (LEZ). Dieser skandalöse Vorschlag, die Tatsache, dass wir als Verein stets und zuletzt auch beim Neubau des Gesundheitszentrums in Masachapa immer gut mit der LEZ zusammengearbeitet haben, und die permanenten Haushaltssperren führten zu folgender Stellungnahme des „Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag e. V.“ (BER), der sich als Netzwerk der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen in Berlin versteht und in dem der Städtepartnerschaftsverein Gründungsmitglied ist, gegenüber Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner:

„Die Ereignisse in den letzten Wochen lassen uns befürchten, dass die Entwicklungspolitik des Landes Berlin im Allgemeinen und die Kooperation zwischen dem Land Berlin und Berliner Nichtregierungsorganisationen grundsätzlich in Frage gestellt werden. Mit Bestürzung und Unverständnis haben wir die Vorschläge der Expertenkommission „Staatsaufgabenkritik“ (Scholz-Kommission) zur Kenntnis nehmen müssen, die in krassem Gegensatz zu den von Ihnen im vergangenen Jahr mehrfach öffentlich bekundeten Verpflichtungen Berlins als internationalem Standort stehen. Der Vorschlag, das Land Berlin möge „die Entwicklungshilfe aufgeben“, widerspricht nicht nur zahlreichen rechtlichen Verpflichtungen, die das Land eingegangen ist, wie beispielsweise den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz aus den Jahren 1988, 1994 und 1998. Er widerspricht auch dem Anspruch, Berlin zu einer internationalen, weltoffenen Stadt zu gestalten, und den auch von Ihnen immer wieder betonten politischen Notwendigkeiten. Die Tatsache, dass zunächst die Mittel, die für Projekte Berliner Nichtregierungsorganisationen vorgesehen sind, zur Einsparung vorgeschlagen werden, erfüllt uns dabei mit besonderer Besorgnis.


Trotz der angespannten Finanzsituation Berlins haben sich im Herbst 2000 alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus für den ungeschmälerten Erhalt dieses Haushaltstitels ausgesprochen. Für uns war dieses Bekenntnis [...] ein deutliches Signal, diese insgesamt geringfügige Summe nunmehr tatsächlich für die Projektarbeit zur Verfügung zu stellen und nicht wiederum aus finanztechnischen Erwägungen heraus zur Disposition zu stellen, wie es bereits im Jahr 2000 geschehen ist. Diese unsere Erwartungen haben sich leider nicht erfüllt. Obgleich gemäß den Vorgaben der Senatsverwaltung für Finanzen lediglich 20% der Ausgaben pauschal gesperrt werden müssen, wurde der Titel für Projekte von Nichtregierungsorganisationen gegenwärtig nach Aussagen der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit vollständig gesperrt. Diese neuerliche Haushaltssperre schließt sich nahtlos an die im Juni 2000 verhängte an – und damit ist die Kooperation des Landes Berlin mit den Berliner Nichtregierungsorganisationen seit Monaten blockiert. Ist die im oben genannten Gutachten empfohlene Verabschiedung des Landes Berlin aus der Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen damit bereits Tatsache, noch bevor die Empfehlungen vom Senat und vom Abgeordnetenhaus auch nur diskutiert worden sind ? [...]

 

Die beständige Unsicherheit über Kofinanzierungsmöglichkeiten des Landes Berlin gefährdet viele sinnvolle Projekte, sowohl in der Bildungsarbeit in Berlin, in der Antirassismusarbeit, in den Bemühungen um ein weltoffenes Klima in der Stadt, als auch in der Umsetzung von Verpflichtungen im Rahmen von Städtepartnerschaften und langjährigen Beziehungen zu Partnern im Süden und Osten. Die Glaubwürdigkeit politischer Aussagen über Berlin als internationalem Standort gerät bei unseren Partnern mehr als nur ins Wanken, wenn die tatsächlichen Handlungen das Gegenteil bezeugen. [...]


Insofern handelt es sich bei der gegenwärtigen Haushaltssperre nicht mehr „nur“ um ein notwendiges und kurzfristiges finanztechnisches Problem, sondern offensichtlich um eine grundsätzliche politische Frage: welchen Wert haben Beschlüsse des Parlaments, wenn sie in der Umsetzung durch die Verwaltung außer Kraft gesetzt werden? Welchen Wert hat das Bekenntnis zu den entwicklungspolitischen Verpflichtungen Berlins, wenn es in einem wesentlichen Bereich, dem der Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen, praktisch konterkariert wird ? [...]“
Auch der „Beirat Entwicklungszusammenarbeit“, der den Wirtschaftssenator in entwicklungspolitischen Fragen beraten soll und in dem der Städtepartnerschaftsverein ebenfalls vertreten ist, hat auf seiner letzten Sitzung eine Entschließung zu diesem Thema verabschiedet. Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen noch rechtzeitig zur Besinnung kommen, bevor zu viel Porzellan zerschlagen ist.