Tourismus in Pochomil - Das Dornröschen Nicaraguas?

Glitzernde Wellen, die nimmermüde ohne ein Ende zu kennen stets von Neuem zum feinen, weißen Sandstrand hinaufgespült werden; Strandvögel, die am Ufersaum ihre kulinarischen Bedürfnisse aus dem reichhaltigen Meer stillen; wärmende Sonnenstrahlen, die die lachenden, am Strand und im Wasser spielenden Kinder umschmeicheln und die beobachtenden Eltern in ein weiches Licht tauchen. Kinder, die an Spielgeräten turnen, Eltern, die unter mit Palmenblättern gedeckten Sonnenschirmen liegen; eine Promenade, entlang derer sich kleine Restaurants und Unterkunftsmöglichkeiten aufreihen, die für die Wochenendurlauber aus dem nur 60 km entfernten Managua eine willkommene Abwechslung zum städtischen Alltag bieten. Während die Sonne in den Wogen des Meeres untertaucht und ihr majestätisches Abendrot über den Strand und den mit Palmenblättern bedeckten Hütten strahlt, geht wieder ein Tag zu Ende, an den sich morgen ein ebenso schöner reihen wird. Eine heile Welt. Ein kleines Paradies, nach dem man sich des Öfteren sehnt, was dem Idealtypus eines Hochglanzprospekts entspricht. Also, nichts wie hin! So etwas sollte man sich schließlich nicht entgehen lassen.

 

Leider hat dieses Paradies einen kleinen Schönheitsfehler: 20 vergangene Jahre, die diesen einst traumhaften Ort Namens Pochomil heute wie unter einem Dunstschleier erscheinen lassen. Die natürliche Schönheit, die sich hinter einer bröckelnden Fassade versteckt, besticht noch immer jeden Besucher, der sich in den kleinen Ort an der Pazifikküste Nicaraguas verirrt. Der stetige Verfall ist jedoch allgegenwärtig und dominiert über der eigentlichen Schönheit im Auge des Betrachters. Wäre es nur die Beschädigung von baulicher Substanz, könnte man leicht an einen romantischen Verfallstourismus á la Kuba denken.

 

Mit dem immer stärkeren Wegbleiben der Touristen haben sich allerdings unschöne Praktiken im Dorf festgefahren, die alles andere als romantisch verklärt sind. Überquert man den fast zerfallenen Schlagbaum, der den Eingang zum Urlaubsdomizil markiert und den Zahlungsort für die Benutzergebühr darstellt, überkommt einen sofort der Gedanke des Paradoxen, wenn für einen so desolaten Zustand bezahlt werden muss (die meisten Besucher wissen auch, dass ihre Eintrittsgelder nicht zur Verbesserung des Ortes eingesetzt werden, sondern auf den Irrwegen der Bürokratie verloren gehen). Man muss als geübter Autofahrer die extremen Schlaglöcher umfahren, da einige Straßen-Bereiche selbst für nicaraguanische PKWs nicht mehr befahrbar sind. 100 m weiter ins Dorf hinein stehen entlang der Straße etliche Grüppchen von Menschen, die einen zu ihrem Restaurant lotsen wollen und die Weiterfahrt solange verhindern, bis der Fahrer sich ihrem Willen gebeugt hat. Da sehr wenig Besucher pro Tag anreisen, wird daher schon von weitem um jedes sich nähernde Auto gestritten, was den wöchentlich stattfindenden Hahnenkämpfen gleicht. Die "Erhaschung" von Touristen für sein eigenes Restaurant erscheint für einen Beobachter fast wie eine eigene sportliche Disziplin. Wer zuerst kommt mahlt zuerst! Gleiches passiert den Gästen, die mit dem öffentlichen Bus anreisen. Schon beim Verlassen des Busses hat man eine Traube von Frauen an seinen Armen hängen, die jeweils versuchen, einen in die entgegen gesetzte Richtung zu zerren. Dabei reden sie auf einen ein, während sie sich gleichzeitig untereinander beschimpfen. Alles aus dem Blickwinkel, dass einem eventuell der einzige Tourist und somit die einzige Einnahmequelle am Tag durch die Lappen gehen könnte. Also alles eine Überlebensfrage. Nur ist dies wirklich die am besten funktionierende Taktik?

 

Hat man als Besucher diese Tortur über sich ergehen lassen, wartet wirklich die natürliche Schönheit und Idylle Pochomils. Wer Glück und Ausdauer zwischen den Monaten Mai bis Juli sowie September bis Oktober zeigt, hat eventuell auch die Möglichkeit, die jährlich wiederkehrenden Riesenschildkröten zu beobachten, wenn sie unter vollster Anstrengung ihre Nester im Strand schaufeln. Aus den gelegten Eiern sollten eigentlich 14 Tage später ihre Jungen schlüpfen, um sich sofort den Weg ins Meer zu bahnen. Da die meisten Nester aus ökonomischen Gründen jedoch um ihre Eier bestohlen werden - sie werden als kulinarische Delikatesse in den Restaurants angeboten (auch bzw. gerade in Pochomil) - bleibt letzteres Spektakel aus. Man muss sich daher fragen, wie lange die Schildkröten noch am Strand ihre Eier legen werden.

 

Wie konnte es soweit kommen? Schließlich ist allgemein bekannt, dass mit Tourismus wenigstens ein wenig Geld zu verdienen ist. Um dies zu verstehen, muss man sich den spezifischen historischen Hintergrund des Ortes anschauen, der auch das heutige Geschehen dominiert.

 

Geschichtliche Entwicklung
Die kilometerlangen Sandstrände der Gemeinde San Rafael del Sur haben seit jeher einheimische Touristen angelockt. Bereits zu Zeiten der Somoza-Diktatur (1934-1979) waren die Pazifik-Küstenorte der Gemeinde beliebtes Ausflugsziel sowohl für Nicaraguaner als auch hochrangige Staatsgäste. Nach dem Sturz der Diktatur durch die "Sandinistische Revolution" im Jahr 1979 wurde die hauptstadtnahe Region touristisch besonders gefördert. Der Küstenort Pochomil wurde in ein staatlich verwaltetes "Centro Turístico" umgewandelt, ein Urlaubsgebiet, das im sozialistischen Sinne besonders der Arbeiterschicht zugute kommen sollte und von staatlicher Seite erhebliche Förderung erfuhr. Ungefähr 20 familiäre Kleinbetriebe wurden staatlich unterstützt, um Unterkunft und Verpflegung für die Wochenendurlauber, vorwiegend aus der Hauptstadt Managua, anzubieten. Nach der Abwahl der Sandinisten im Jahr 1990 und der damit verbundenen Abkehr vom Sozialismus und staatswirtschaftlich betriebenen Unternehmen führten die 1990er Jahre zu einer Privatisierungswelle, die auch in Pochomil nicht halt machte. Das Herauslösen des Staates aus den touristischen Unternehmen bedingte, dass das ehemals staatlich hoch subventionierte Centro Turístico Pochomil nun vom neu gegründeten nicaraguanischen Tourismusinstitut (INTUR) administrativ ohne jegliche Schwerpunktförderung weitergeleitet wurde.

 

Dies bewirkte eine bewusste Verwahrlosung, da Einrichtungen der Grundinfrastruktur nur bedingt in Stand gehalten wurden. Besonders nach dem verheerenden Tsunami von 1992, dessen Flutwelle das Centro Turistico überschwemmte und erhebliche Schäden hinterließ, wurden die notwendigen Verbesserungen an der Grundinfrastruktur, wie Straßenbeleuchtung, Schäden in der Zugangsstraße, nicht getätigt. Fakt ist, dass das Centro Turistico immer verfallener aussieht, weniger Touristen kommen, was den Druck auf die einzelnen Unternehmer verstärkt. Das aus der zunehmenden Konkurrenz resultierende Konfliktpotenzial im Dorf wächst erheblich.

 

Die Probleme sind offensichtlich. INTUR ist an Pochomil nicht interessiert und sieht aufgrund des kleinteiligen einheimischen Tourismus nicht die möglichen Gewinnchancen, wie sie eine ähnliche Anlage im touristischen Magnetpol Nicaraguas, Granada, beispielsweise abwirft. Eine mögliche Übergabe des Centro Turistico an die Gemeinde mittels eines touristischen Entwicklungsplan für den Ort verbaute sich die Alcaldía von San Rafael jedoch Ende 2004, da ihr trotz diverser Vorarbeit anscheinend die Kompetenz fehlte, den geforderten Entwicklungsplan in der gegeben Frist zu erstellen. Schade, denn die Unternehmer von Pochomil hatten für diesen Schritt entschieden gekämpft, bei der Vizepräsidentin von INTUR vorgesprochen und von allen Seiten ihr Einverständnis für die üblichen administrativen Verfahren erhalten. Nur nicht von der Alcaldía, die nicht den langfristigen Nutzen eines florierenden touristischen Örtchens innerhalb ihrer Gemeinde sah, welches genügend Arbeitsplätze schaffen würde, um die extreme Arbeitslosigkeit zu senken. Nein, die Alcaldía sah nur die kurzfristigen Kosten, denen sie nicht gewachsen war und somit einen Teil ihrer Gemeinde trotz vieler gegenteiliger Versprechen ohne Unterstützung ließ.

 

Was passiert nun?
Die landschaftliche schöne Gegend, sei es der Pazifik, die weiten Sandstrände, der feuchtgrüne Nebelwald, Schluchten oder präkolumbianische Höhlenzeichnungen verleihen der Region etwas Einzigartiges. Man kann nur hoffen, dass die Unternehmer von Pochomil sich gemeinsam mit anderen touristischen Unternehmern aus benachbarten Dörfern zusammenschließen, um gemeinsam einen sozialverträglichen wie auch umweltverträglichen Zukunftsplan zu entwickeln. Es existiert bereits ein ähnliches Gremium, das jedoch aufgrund der dominierenden Konflikte und alten Zwiste nur eingeschränkt konstruktiv arbeitet. Man kann nur hoffen, dass sie sich gemeinsam mit allen im Tourismus involvierten Akteuren zusammenschließen (was ebenfalls die zivile Bevölkerung als direkt Betroffene mit einschließt) und in einer Art Tourismus-Kommission für die Region sich selber fördern.

 

Schließen sie sich nicht zusammen und kämpfen alleine weiter, wird es nur eine Frage der Zeit sein, dass finanzkräftige Investoren, egal ob Nicas oder Ausländer, mit kurzfristigem Geld winken, die alteingesessenen Bewohner und Unternehmer verdrängen und anstelle derer ein neues Pochomil kreieren, das im Zweifelsfall überall auf dieser Welt liegen könnte. Einfach einen dieser gesichtslosen, anonymen, globalisierten Tourismusorte, aber nicht mehr Pochomil. Paradebeispiele kann man bereits drei Kilometer nördlich des Örtchens sehen, wo ein internationaler Tourismuskonzern Nicaraguas erste und bislang einzige All-Inclusiv-Anlage, mit internationalem 5-Sterne-Standard, erreichtet hat. Der Bau eines weiteren ähnlichen Hotels wurde Ende 2004 ebenfalls nördlich von Pochomil genehmigt. Wäre also nur zu schade, wenn Pochomil dadurch sein Gesicht verlieren würde. Der über lange Zeit entwickelte Tourismus wird hier schließlich noch von Einheimischen betrieben und trägt einen großen Beitrag an der ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklung des Dorfes und der Region.

 

Schlummert Pochomil also lediglich seinen Dornröschenschlaf und wartet auf einen Prinzen, der es wach küsst? Die Lethargie der Leute lässt einen schnell an eine märchenhafte Situation denken - die jedoch sehr real ist. Will Pochomil wie Dornröschen ebenfalls 100 Jahre auf den heilenden Kuss warten? Wird in Anbetracht der vielen globalisierten Dornröschens auf dieser Welt der Prinz nicht viele andere Orte vorher wach geküsst haben und vor lauter Küssen am Ende das Dornröschen Pochomil vergessen haben?


Um dies zu verhindern, bedarf es der gemeinsamen Anstrengung der Betreiber der Kleinstunternehmen in Pochomil und all denen, die ebenfalls in irgendeiner Form in den Tourismus eingebunden sind, um mit vereinten Kräften sowohl Gehör auf administrativer Seite zu finden wie auch als Kleinod der nicaraguanischen Pazifikküste wahrgenommen und besucht zu werden. Haben Sie nicht auch Lust?

 

Vera Fricke
(Die Autorin hat sich im Rahmen des ASA-Programms von August bis November 2004 in San Rafael aufgehalten und eine Analyse der Entwicklungsmöglichkeiten eines regionalen Tourismus erstellt)