Gerechtigkeit jetzt! - die Welthandelskampagne

Auf die schwierige Situation von Entwicklungsländern, die unter dem Handelssystem der WTO zu leiden haben, will "Gerechtigkeit jetzt! - die Welthandelskampagne" aufmerksam machen. Im Hinblick auf die im Dezember 2005 in Hongkong stattfindende Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO soll während einer "Aktionswoche für globale Gerechtigkeit" vom 8. bis 16. April 2005 mit vielen Aktionen in ganz Deutschland die öffentliche Aufmerksamkeit auf die unfairen Bedingungen im Welthandel gelenkt werden.

 

Entwicklungsländer in der Globalisierungsfalle der WTO
Besonders die Regelwerke der WTO, welche die vollkommen ungleichen Bedingungen der am Welthandel beteiligten Länder ignorieren und somit insbesondere den armen Ländern mehr schaden als nutzen, stehen im Mittelpunkt der Kritik. Formal gesehen hat zwar jeder der 148 WTO-Mitgliedsstaaten eine Stimme, doch begrenzen vor allem knappe personelle sowie materielle Kapazitäten die Möglichkeiten der Entwicklungsländer, in wichtigen Verhandlungen ihren "Mann" zu stehen. Während Vertreter reicher Industrieländer mit einem über 100-köpfigen Beraterstab anreisen, werden viele arme Länder nur durch eine Person vertreten. Neben diesem Mangel an Expertise ist es dadurch auch nicht möglich, an parallel stattfindenden Sitzungen teilzunehmen, so dass in Realität stets die wohlhabenden Länder in großer Zahl repräsentiert sind, während der Rest außen vor bleibt. Hinzu kommt, dass bei wichtigen Gesprächen und Verhandlungen oftmals nur Industrieländer und eine geringe Anzahl von Entwicklungsländern zugelassen sind - alle Übrigen müssen sprichwörtlich vor der Tür auf die Ergebnisse warten. Aus dieser ungleichen Interessenvertretung resultieren Regelwerke, die den armen Ländern aufgezwungen werden und nicht im Mindesten auf ihre Bedürfnisse eingehen.

 

Die Aktionswoche
Um diese Missstände ins öffentliche Bewusstsein zu rufen und politische Lobbyarbeit im Hinblick auf die nächste Ministerkonferenz der WTO im Dezember 2005 zu betreiben, wurde von Nichtregierungsorganisationen weltweit die Kampagne "Global Week of Action" ins Leben gerufen. In 70 Ländern der Welt finden dabei in der zweiten Aprilwoche dezentrale Aktionen und Veranstaltungen statt, die sich mit dem unfairen Welthandelssystem befassen und moralische und politische Forderungen an die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft stellen. In Deutschland wird die nationale Initiative "Gerechtigkeit jetzt! - die Welthandelskampagne" von 34 Organisationen mit entwicklungs- und umweltpolitischem, kirchlichem, menschenrechtlichem sowie gewerkschaftlichem Hintergrund getragen. So sind unter anderem Oxfam, BUND, Misereor, aber auch der BER e.V. an der Kampagne beteiligt. Tatkräftig unterstützt werden sie unter anderem von Herbert Grönemeyer und Franka Potente, die sich beide schon im Vorfeld der Veranstaltungen mit großem Engagement beteiligt haben, das deutlich über ein passives "Nur-den-Namen-zur-Verfügung-Stellen" hinausgeht.

 

Vier zentrale Forderung stehen während der Aktionswoche im Mittelpunkt.

Kein Ausverkauf der Wasserversorgung an Konzerne!
Das GATS-Abkommen (General Agreement on Trade in Services) der WTO sieht eine vollständige Liberalisierung von Dienstleistungen vor, welche im Detail nicht näher definiert sind. Dadurch fallen auch zentrale Dienste wie die Wasserversorgung unter diese Rubrik, womit der Gefahr eines Ausverkaufs Tür und Tor geöffnet ist. Die WTO zielt auf eine völlige Gleichbehandlung aller am Handel Beteiligten ab und unterscheidet somit nicht zwischen lokalen Betrieben und globalen Großkonzernen, kommunalen oder privaten Anbietern. Daraus ergeben sich besonders im Bereich der Wasserversorgung Probleme, wie sie auch hierzulande im Zuge von Privatisierungen beobachtet werden können: Steigende Preise für die Verbraucher in Kombination mit zurückgehenden Investitionen ins Leitungssystem. Wenn es um die Verhandlungen auf internationaler Ebene geht, haben die armen Länder wie üblich auch hier eine benachteiligte Stellung, da insbesondere ihre Kreditabhängigkeit von den reichen Ländern wenig bis keinen Verhandlungsspielraum zulässt. Der Deutsche Bundestag ist generell gegen eine Druckausübung seitens der EU zu mehr Privatisierung in Entwicklungsländern und hat in einem Beschluss auch ein konsequentes Vorgehen der Bundesregierung auf EU-Ebene gefordert. Gerechtigkeit jetzt! Nimmt diesen Beschluss als Aufhänger und erinnert noch einmal daran, dass das Menschenrecht auf Wasser Vorrang vor dem Handelsrecht haben muss.

 

Handelspolitik nicht über unsere Köpfe hinweg!
Undurchsichtige Verhandlungspraktiken und die mangelnde Kommunikation zwischen politischen Handlungsträgern und der Zivilgesellschaft stehen im Fokus der Kritik vieler NGOs weltweit. Über den eingeschränkten Zugang zu Hintergrundinformationen wie beispielsweise WTO-Verhandlungspapiere beklagen sich nicht nur Nichtregierungsorganisationen; selbst für Abgeordnete des Bundestages bzw. des Europaparlamentes sind nur redigierte Versionen der Papiere zugänglich. Bei wenig informativen, da pflichtgemäßen "Dialogen mit der Zivilgesellschaft" des Wirtschaftsministeriums sowie der Generaldirektion Handel der EU-Kommission für NGOs und Wirtschaftslobbyisten kommt die Ungleichbehandlung der InteressenvertreterInnen besonders zum Ausdruck, da letztere mit einem breiten Wissen an handelspolitischen Vorhabinformationen erscheinen. Ein transparentes Vorgehen mit einem verbesserten Informationsfluss und einer Gleichbehandlung aller InteressenvertreterInnen ist somit eine der zentralen Forderungen der Welthandelskampagne.

 

Kein Freihandel auf Kosten der Umwelt!
Dem Ziel der WTO, freien Handel ohne Barrieren zu ermöglichen, stehen zahlreiche nationale sowie internationale Umweltabkommen im Wege, welche der von der WTO vorgeschriebenen Gleichstellung aller Produkte entgegenstehen und somit Handelshemmnisse darstellen. Eine Differenzierung von Produkten beispielsweise nach ökologischer oder umweltschädigender Herstellung ist nicht gegeben, alle Erzeugnisse sollen unter gleichen Bedingungen auf dem Weltmarkt verkauft werden können, ungeachtet ihrer Produktionsweise oder Auswirkungen auf Umwelt und Sozialstandards. Werden diese WTO-Regeln verletzt, müssen die betroffenen Staaten mit empfindlichen Sanktionen rechnen, so geschehen etwa im Falle der EU, die hormonbehandeltes Fleisch aus den USA und Kanada nicht einführen wollte und daraufhin vom Schiedsgericht der WTO zur Zahlung hoher Strafzölle verurteilt wurde. Bezeichnend für die Lösung solcher Streitfälle ist, dass vor allem HandelsexpertInnen, nicht jedoch Menschenrechts- oder UmweltexpertInnen die wichtigen Entscheidungen treffen. Internationale Umweltschutzabkommen und die Wahrung der Menschenrechte sind dadurch in Gefahr, vom WTO-Handelsrecht ausgehebelt zu werden. Gerechtigkeit jetzt! - die Welthandelskampagne nimmt sich dieser Bedrohung an und fordert, dass umweltpolitische Maßnahmen Vorrang haben müssen vor Handelsrecht, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.

 

Ernährung weltweit sichern!
Das Agrarabkommen der WTO bewirkte, dass sämtliche nichttarifäre Handelshemmnisse für Agrarerzeugnisse in Zölle umgewandelt und diese um ein Viertel gesenkt wurden - dadurch wurde eine Öffnung der Märkte für (unerlaubt subventionierte) Nahrungsmittelexporte, insbesondere aus Industrieländern, ermöglicht. Diese überschwemmen die lokalen Märkte in den armen Ländern und bedrohen vor allem KleinbäuerInnen in ihrer Existenz. Die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten und die Anfälligkeit für Hungerkrisen steigen, da die lokale Erzeugung abnimmt. Zahlreiche NGOs sehen somit das Menschenrecht auf Nahrung in akuter Gefahr und fordern deshalb die Ernährungssicherung insbesondere der vom Welthandel und den Agrarabkommen besonders benachteiligten Ländern und Bevölkerungsgruppen.

 

Die Veranstaltungen
Um den vier zentralen Forderungen Nachdruck zu verleihen und sie öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen, wurde der Welthandelskampagne in Deutschland ein Programm aufgestellt, welches sich auf zwei Hauptevents stützt: Die Auftaktveranstaltung am 8. April in Bonn und die Abschlussveranstaltung in Berlin am 16.April bilden die Eckpfeiler der Aktionswoche, welche durch viele dezentrale Einzelaktionen in ganz Deutschland bestimmt wird. Neben Straßenfesten werden auch Gottesdienste, Infoveranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Theateraufführungen, Schulprojekte und vieles mehr zu den einzelnen Themen stattfinden. Die Organisatoren hoffen dabei auf zahlreiche Beteiligung möglichst vieler Nichtregierungsorganisationen, Vereine, Initiativgruppen etc. Im Mittelpunkt aller Aktionen wird die Postkartenaktion "Gerechtigkeit ist keine Ansichtssache" stehen (Postkarte liegt dem Atabal bei). Hierbei sollen bis zum 13.04. Ansichtskarten aus ganz Deutschland mit dem Vordruck der Welthandelskampagne beklebt und an die zentrale Sammelstelle in Bonn geschickt werden. Alternativ dazu können die Postkarten auch gesammelt und auf der Abschlussveranstaltung am 16.04. in Berlin abgegeben werden. Dort werden sie dann gebündelt und gezählt an Wirtschaftsminister Clement übergeben. Auch die Stäpa wird an der Abschlussveranstaltung am 16. April auf dem Schlossplatz vor dem Palast der Republik in Berlin-Mitte mit einem Stand teilnehmen und Postkarten sammeln. Neben einem umfassenden Bühnenprogramm und der Postkartenübergabe soll ein "unfaires Fußballspiel" im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen, im Rahmen dessen die Ungerechtigkeit des Welthandelssystems versinnbildlicht wird: Die gut ausgestattete, trainierte Mannschaft des "1.FC Freihandel" wird hier gegen die angeschlagenen "Hungerleider ´05" spielen, die mit verletzten Menschenrechten, KleinbäuerInnen und Umweltgeschädigten zum Wettkampf antreten und nicht nur mit einem unfairen Schiedsrichter zu kämpfen haben. Diese und viele andere Attraktion warten auf die hoffentlich zahlreich erscheinenden Besucher - wir sehen uns am 16. April!

 

Belinda Hanke